Con molto sentimento (German Edition)
geteilt. Er hatte es ernst mit Patrice gemeint. Vielleicht nicht von Anfang an, aber dann später auf jeden Fall.
»Warum nur muss er ausgerechnet mir so eine Verantwortung übertragen?«, murmelte Claude und seufzte.
Da lag also die Wurzel allen Übels: Verantwortung. Claude Dèbiere und Verantwortung übernehmen, das hatte sich in der Vergangenheit kategorisch ausgeschlossen. Frei und ungebunden, so hatte er leben wollen. Doch spätestens seit diesem Sommer war damit Schluss gewesen, Claude hatte sich doch selbst eine Portion ›erwachsen werden‹ verordnet. Dies war nun einmal eine Konsequenz davon und vor dieser Entscheidung, die Patrice so unmittelbar betraf, konnte Claude unmöglich davonrennen.
»Schlaf erst einmal eine Nacht darüber«, riet Federico. Er hoffte, dass Claude dann etwas klarer sah.
»Toller Rat!« Claude ließ seinen ganzen Frust an dem nächsten Schnitz Limette aus. »Dazu braucht es mehr als eine ruhige Nacht.« Er hob die Hand, um dem Barkeeper zu signalisieren, dass sie hier am Tisch noch etwas Hochprozentigeres benötigten.
»Was würdest du tun?«, erkundigte sich Claude, als man ihnen die nächste Runde gebracht hatte.
Natürlich hatte sich Federico dies auch bereits gefragt und doch ließ er sich Zeit mit der Antwort: »Ich würde ihn nicht anzeigen. Er ist noch so jung und hat noch sein ganzes Leben vor sich. Ich glaube, die Zeit mit dir war mit die glücklichste in seinem bisherigen Leben... Oh, Claude!«
Dieser letzte Satz war wohl für Claudes Nervenkostüm zu viel gewesen, denn schon hatte er die Stirn auf seine verschränkten Arme gebettet und schluchzte los. Dass Claude so emotional reagierte, war auch etwas völlig Neues. Da hatte sich wohl einiges angestaut.
Schnell blickte sich Federico um, ob irgendjemand in der Bar dies bemerkt hatte. Am Ende hieß es noch, er hätte sich einen Lover vergrault. Mittlerweile konnte sich Federico nicht mehr sicher sein, dass er anonym blieb, wenn er Essen ging oder ein Bistro besuchte.
Er setzte sich neben Claude und schlang einen Arm um dessen Schultern. Besser er sagte jetzt nichts, jedoch lag es ihm auf der Zunge Claude darauf hinzuweisen, dass er wohl nicht so reagieren würde, wenn es zwischen ihm und Patrice keine Gefühle mehr gebe.
Nach der Schule saß Patrice im Stadtbus, um zu seiner Mutter zu fahren. Gerade eben hatte er wieder sein Handy gecheckt. War eine SMS von Claude eingetroffen? Hatte der Franzose ihn womöglich versucht anzurufen? Er hätte es doch gehört, wenn das Handy geklingelt hätte, oder?
Selbst Claire und Jean hatten ihn in den letzten Tagen schon mehrmals gefragt, was er denn auf einmal mit seinem Handy hätte. Selbstredend hatte er den beiden Schulfreunden nicht erzählen wollen, was ihm alles widerfahren war. Hätte er erzählt, dass er bei Claude rausgeflogen war, es hätte nur weitere Fragen nach dem Grund nach sich gezogen. Sowohl Alexis als auch der Anwalt, Monsieur de Galle, hatten ihm geraten mit niemandem über die Schlägerei zu sprechen. Er war auch noch nicht bei der Polizei gewesen, obwohl er diesen Punkt auf seiner To-Do-Liste gerne längst erledigt haben wollte. Doch sie mussten noch Claudes Entscheidung abwarten.
Mit seiner Mutter hatte er über alles geredet, sogar über die Schlägerei, seine Verstrickungen darin und seine Beziehung zu Claude. Es war alles andere als leicht gewesen, doch mittlerweile – so schien es ihm – hatte sie es begonnen zu akzeptieren, dass er homosexuell war. Immerhin fragte sie ihn mit ehrlicher Besorgnis, wie es denn nun zwischen ihm und Claude aussehen würde. Sie telefonierten nun auch öfters miteinander und es stimmte schon, wenn Patrice behauptete, dass er sich nicht erinnern konnte, wann er je so einen engen Kontakt zu seiner Mutter gehabt hatte. So schmerzhaft es gewesen war, jetzt war er froh und dankbar darum, dass alle Lügen und Täuschungen zwischen ihnen ausgeräumt waren.
Es war eine bittere Lektion für Patrice gewesen zu erfahren, dass jede Lüge irgendwann einmal ans Licht kam.
Seine Mutter lebte inzwischen in einer kleinen Zwei-Zimmerwohnung am anderen Ende der Stadt. Sie hatte sich von Urs getrennt und der stellte ihr auch nicht nach, was Patrice insgeheim befürchtet hatte. Wahrscheinlich trank Urs mittlerweile so viel, dass er gar nicht mehr klar denken konnte.
Eva hatte sich jedenfalls sehr verändert. Man konnte sagen, nicht nur ihr Sohn hatte sich emanzipiert,
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