Con molto sentimento (German Edition)
gehörte ja bekanntlich zum deutschsprachigen Teil der Schweiz. Federico lächelte. Wenn Patrice diesen Grund vorschieben wollte. Bitteschön.
Leider hatte Alexis Verpflichtungen in St. Petersburg, ausgerechnet an diesem Wochenende gab er dort ein Konzert, das schon länger geplant und daher nicht abgesagt werden konnte. Sonst hätten sie sich am Bodensee ein gemütliches Wochenende gemacht. Gerade in Anbetracht der letzten Nacht sehnte sich Federico mehr denn ja nach seinem Partner.
William war selig gewesen, dass er am Montagmorgen während der gesamten Probe neben Federico auf dem Hocker vor dem Flügel sitzen durfte. Er hatte sogar die Seiten umblättern dürfen. Natürlich hatte Federico seinen Neffen mehrmals im Vorfeld ermahnt, er müsse mucksmäuschenstill sein und die übrigen Musiker nicht stören. Williams Mutter wäre wohl angenehm überrascht, wenn sie ihren Sprössling gesehen hätte. Denn gerade in der Vorschule hatte es schon öfters Klagen der Erzieherinnen gegeben, dass William nur schwer still sitzen konnte. Irgendwie schien es dem Jungen zu helfen, wenn er sich auf die Musik und das Instrument konzentrieren konnte. Keine Spur mehr eines Zappelphilipps.
Erfreulicherweise hatte William keinerlei Hemmungen oder irgendwelche Scheu während der Probenpause auf dem Flügel zu spielen. Federico ließ ihn allein und gesellte sich zu den drei Professoren, die vor der Bühne, ganz unauffällig, in der ersten Reihe saßen. Federico kannte sie alle, es waren seine eigenen, ehemaligen Lehrmeister. Sie wussten von Federicos Anliegen und waren gerne bereit gewesen sich selbst ein Urteil über Williams Talent zu bilden. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, Federico war viel nervöser, als noch vor zwei Tagen im Vorfeld ihres Premierenkonzerts. William wusste zum Glück nicht, was hier in diesen Minuten für ihn auf dem Spiel stand. Es würde nur unnötigen Druck auf den Jungen aufbauen. Es genügte auch vollkommen, dass sich Federico diesem Druck aussetzte.
Er setzte sich neben Madame Dupal auf einen der Stühle und nippte an seinem Becher mit Kaffee. Sie lächelte ihm zu und Federico presste die Lippen aufeinander.
William klimperte fröhlich auf dem Flügel vor sich hin. Federico hatte Claude in den Plan eingeweiht und sein alter Freund stellte sich als hervorragender Komplize heraus. Er spielte William kleine Melodien auf seiner Violine vor, die der Junge nachspielen sollte. Es mochte wie in harmloser Wettstreit, ein Spiel, aussehen, aber es war auch ein guter Test um Williams Rhythmusgefühl, Gehör und Auffassungsgabe auf die Probe zu stellen. Jeder Schüler, der in einem Internat oder einem Konservatorium aufgenommen werden wollte, musste ähnliche Aufnahmeprüfungen bestehen.
»Auf jeden Fall hat er einen guten Lehrer. Wie lange hat er jetzt schon Unterricht?«, erkundigte sich Professor Cremer.
»Nicht ganz zwei Jahre«, gab Federico leise zurück. Claude waren wohl die Melodien ausgegangen oder William hatte keinerlei Lust mehr, denn nun begann der Kleine damit auswendig zu spielen. Es war ein Stück aus dem Wohltemperierten Klavier vom alten Meister Bach. Zuerst das zweite Präludium in c-moll, dann versuchte er sich an einer Fuge. Stücke, die ein Schüler nicht unbedingt in seinem zweiten Jahr beherrschte.
»Beachtlich«, meinte Madame Dupal. Was sie noch mehr beeindruckte war die Tatsache, dass William nachdem er einen Fehler gemacht hatte und nicht mehr weiterwusste, einfach irgendwie weiterspielte und versuchte den Takt und das Tempo zu halten. Er brach nicht einfach ab. Dies zeugte von einem tieferen Verständnis oder zumindest von guter Intuition.
»Was haben Sie ihm beigebracht, Monsieur Batist?«
»Nicht viel, die Grundlagen als er uns in England besucht hat. Das Meiste hat ihm seine Klavierlehrerin in Dänemark beigebracht. Das Wohltemperierte Klavier hat er sich selbst erarbeitet, seine Lehrerin hielt es noch für zu früh. Nicht, dass ihn das gestört hat. Gestern musste ich ihm versprechen, dass ich ihm die Noten für das Klavierkonzert von Schumann kaufe.«
»In Anbetracht wer sein leiblicher Onkel ist, sollte es uns eigentlich nicht überraschen, dass er solch ein Talent zeigt.« Professor Cremer war noch von der vorherigen Generation. Die Tatsache, dass Federico offen schwul war, behagte ihm nicht so recht.
»Sein ›leiblicher Onkel‹ wird gar nicht begeistert sein«, schnaubte Federico. »Alexis hält nichts davon ihn
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