Conan-Saga 08 - Conan der Pirat
unerwartete Erscheinung unbewaffnet war.
Es war ein Yuetshi: ein dürres Männlein in Schafsfell, mit langen Armen, kurzen Beinen und flachem, gelblichem Gesicht, das von Runzeln durchzogen war. Die schrägen Augen musterten Conan.
»Khosatral!« rief der Kleine. »Was sucht einer der Freien Getreuen in diesem von Hyrkaniern heimgesuchten Land?« Er sprach den turanischen Dialekt der Hyrkanier, doch mit einem auffallenden Akzent.
»Wer bist du?« brummte Conan.
»Ich war der Häuptling der Yuetshi«, antwortete der andere mit wildem Lachen. »Ich bin Vinashko. Was suchst du hier?«
»Was liegt jenseits dieser Kluft?« erkundigte sich Conan, ohne die Frage zu beantworten.
»Ein Gewirr von Klüften und Erdspalten. Wenn du hindurchfindest, kommst du an einer Stelle heraus, wo man das weite Akrimtal überblicken kann, in dem bis gestern mein Stamm zu Hause war, doch in dem heute nur noch ihre verkohlten Knochen zu finden sind.«
»Gibt es dort zu essen?«
»Ja – und den Tod. Eine Horde hyrkanischer Nomaden hält das Tal besetzt.«
Während Conan noch über diese Worte nachdachte, hörte er Schritte hinter sich und wirbelte herum. Ivanos kam auf ihn zu.
»Sagte ich dir nicht, du solltest Wache halten, während die anderen schlafen?« knurrte er.
»Sie haben viel zu viel Hunger, als daß sie schlafen könnten«, erwiderte der Corinthier und betrachtete mißtrauisch den Yuetshi.
»Crom!« fluchte der Cimmerier. »Ich kann schließlich kein Essen aus der leeren Luft herbeizaubern. Sie müssen einstweilen am Daumen kauen, bis wir ein Nest finden, das wir ausräumen können ...«
»Ich kann euch zu einem Ort führen, wo es Verpflegung für eine ganze Armee gibt«, unterbrach ihn Vinashko.
»Du willst uns wohl zum Narren halten?« Drohung klang aus Conans Stimme. »Gerade noch sagtest du, die Hyrkanier ...«
»Ich meinte nicht unser Dorf. Wir lagerten unsere Vorräte in der Nähe. Ich war gerade auf dem Weg dorthin, als ich dich sah.«
Conan schob sein Schwert mit der breiten geraden Klinge – eine Seltenheit in einem Land, wo Krummsäbel vorgezogen wurden – in seine Scheide zurück. »Dann führ uns, Yuetshi, aber bei der ersten falschen Bewegung bist du um einen Kopf kürzer!«
Der Yuetshi lachte rauh und laut und bedeutete den beiden, ihm zu folgen. Er schritt auf die Felswand zu, schob ein paar dürre Büsche zur Seite und offenbarte so einen Spalt in der Wand. Er winkte den beiden auffordernd zu, duckte sich und kletterte in den Spalt.
»In die Höhle des Löwen?« brummte Ivanos.
»Wovor hast du Angst?« fragte Conan. »Vor Mäusen?«
Auch er bückte sich und zwängte sich durch die schmale Öffnung! Ivanos folgte ihm. Der Cimmerier stellte fest, daß er sich nicht in einer Höhle befand, sondern tatsächlich nur in einem Spalt in der Felswand. Hoch oben zwischen den steilen Wänden war bereits ein wenig des frühen Morgenlichts zu sehen. Etwa hundert Schritte tasteten sie sich durch die Düsternis, dann kamen sie auf einem kreisrunden Flecken heraus, mit hohen Wänden ringsum, die auf den ersten Blick wie die Waben eines gewaltigen Bienenstocks aussahen. Gedämpftes Dröhnen erklang aus der Mitte dieses merkwürdigen Ortes, wo eine niedrige runde Brüstung ein Loch im Boden umgab, aus dem eine bleiche mannshohe Flamme aufstieg und diesen schachtähnlichen Ort schwach erhellte.
Conan schaute sich neugierig um. Es war, als befände er sich am Grund eines riesigen Brunnens. Der Boden war aus festem Stein, der aussah, als hätten die Füße von zehntausend Generationen ihn glattgetreten. Die Wände waren viel zu gleichmäßig in ihrer Rundung, um natürlichen Ursprungs zu sein. Hunderte von eckigen schwarzen handbreittiefen Nischen befanden sich in ordentlichen Reihen übereinander in dieser brunnenschachtähnlichen Wand, die sich in schier unendliche Höhen erstreckte. Nur ein kleiner kreisrunder Himmelsausschnitt war zu sehen, wo ein Geier sich wie ein Pünktchen abhob. Eine Treppe war ringsum spiralenförmig in die Wand gehauen und bildete einen vollen Kreis, wo sie an einem Absatz außerhalb einer schwarzen Öffnung – dem Eingang zu einem Tunnel – in der Wand endete.
»Diese Löcher«, erklärte Vinashko, »sind die Grüfte eines ururalten Volkes, das hier bereits lebte, als meine Vorfahren zur Vilayetsee kamen. Es gibt ein paar Legenden darüber, die erzählen, daß es nichtmenschliche Wesen waren, die unsere Vorväter hart bedrängten, bis ein Yuetshipriester sie durch einen mächtigen
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