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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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tatsächlich, als Jack an dem Haltestrick um sein Handgelenk zog, bewegte sich das dicke Fass in seine Richtung – obwohl Dappa noch Spannung auf seinem Strick behielt, damit es in der Strömung auf ihrer Höhe blieb und sich dem Vordersteven der Brigg nicht zu sehr näherte.
    Bald bekam Jack es am Rand zu fassen. Oben auf einem Gewirr von kalten, rauen Kettengliedern ertastete er das Ende eines Seils, zog es heraus und band es mithilfe eines Seemannsknotens, den er mit geschlossenen Augen zu knüpfen gelernt hatte, um die Ankertrosse – genau wie Dappa es vermutlich mit dem anderen Ende desselben Seils gemacht hatte. Die beiden Ankertrossen der Brigg waren jetzt durch ein Stück robustes Hanfseil, das schlaff durchhing, miteinander verbunden. In der Mitte dieses Seils befand sich eine eingespleißte Schlaufe, Legel genannt, und an diesem Legel war ein Ende einer Kette befestigt, die etwas länger als der Fluss an dieser Stelle tief (wie sie von van Hoeks Lotungen wussten) und mehrere hundert Pfund schwer war.
    Auf die Kette waren verschiedene Utensilien gepackt – insbesondere zwei zusammenpassende kurze axtartige Werkzeuge, die in Kalfaterwerg eingewickelt waren, um zu verhindern, dass sie klirrten und »schlafende Enten weckten«, wie van Hoek es gerne ausdrückte. Jack nahm sie nacheinander heraus und hängte sie sich an ihren geflochtenen Baumwollgurten über die Schultern. Als nur noch die Kette in dem Fass lag, neigte Jack es so, dass das Wasser des Guadalquivir über seinen Rand hineinlief. Innerhalb kurzer Zeit hatte das Gewicht der Kette es unter die Wasseroberfläche gezogen. Sofort begann das Seil, das er um die Ankertrosse gezurrt hatte, das Gewicht aufzunehmen. Es straffte sich, aber seine Knoten hielten, und es rutschte nicht ab.
    Was er jetzt am meisten fürchtete, war eine lange Wartezeit. Aber er und Dappa hatten mehr Zeit gebraucht als im Plan vorgesehen, oder aber die Galiot hatte sich zu schnell vorwärtsbewegt, denn fast im selben Moment hörten sie Geschrei von flussaufwärts; mehrere Stimmen, die meisten in Türkisch, aber auch ein paar in Sabir (damit die Spanier auf der Brigg es mitbekamen und verstanden) riefen: »Wir treiben ab!« – »Wacht auf!« – »Wir treiben vor Anker!« – »Alle Ruderer an ihre Plätze!«
    Auch der Wachmann auf der Brigg hörte es und reagierte blitzschnell,
indem er eine Glocke läutete und in Seemannsspanisch losbrüllte. Jack holte tief Luft und tauchte unter. Indem er sich Hand für Hand an der Ankertrosse entlangzog, tauchte er abwärts, bis seine Ohren ihm unerträglich wehtaten, was, wie er wusste, in ein paar Faden Tiefe passierte – tiefer jedenfalls, als der Tiefgang der heranbrausenden Galiot -, und begann, sich mit der Klinge eines Dolches über die Trosse herzumachen. Er arbeitete jetzt blind, wobei er fühlte, wie eine fettbeschmierte Hand über die andere glitt – ein Trick, den er sich ausgedacht hatte, um zu verhindern, dass er sich versehentlich einen Finger abschnitt. Die Klinge machte ein gieriges, siedendes Geräusch, während es die zahllosen Fasern der Trosse einzeln und zu Tausenden durchtrennte.
    Einer der drei dicken Stränge der Trosse barst unter seiner Klinge und löste sich – er spürte, wie er unter seiner Wange erschlaffte, denn er hielt die Trosse zwischen Kopf und Schulter eingeklemmt, und wie die beiden anderen Stränge sich strafften und ächzten, als sie das ganze Gewicht übernahmen. Er hatte keine Ahnung, was wohl zwölf Fuß über ihm los sein mochte. Die Galiot näherte sich sicherlich, machte aber kein nennenswertes Geräusch. Dann gab es einen dumpfen Schlag, den er mehr fühlte als hörte. Er fuhr zusammen, denn er dachte, es sei der Lärm des Zusammenstoßes, und aus seinen Nasenlöchern sprudelten Blasen hervor. Seine Augen waren in dem schwarzen Wasser immer noch geschlossen und er sah Trugbilder vor sich: den armen Dick Shaftoe, wie er, die Füße voran, aus der Themse gezogen wurde. Waren so wohl Dicks letzte Minuten gewesen? Aber solche Gedanken musste er jetzt wegschieben. Stattdessen beschwor er herauf, was van Hoek vor einigen Wochen auf dem Dach des Banyolar gesagt hatte: »Wenn wir noch ungefähr zehn Faden von der Brigg entfernt sind, schlage ich die große Trommel ein Mal – unmittelbar vor dem Zusammenstoß zwei Mal. Du wirst das hören, und mit einigem Glück auch die Landstreicher am Ufer, so dass sie noch ein paar Minuten länger Krach machen können...«
    Jack sägte heftig an der Trosse und

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