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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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loszubekommen.
    Daran konnte Jack nichts ändern und versuchte deshalb, sich auf die anstehenden Aufgaben zu konzentrieren. Hier unten herrschte ein regelrechtes Gedränge! Jewgeni, Gabriel und Nyazi waren kurz vor dem Zusammenstoß von der Galiot gesprungen und hatten mit ihren Enterbeilen offensichtlich mehr Glück gehabt als Jack – vielleicht, weil sie nicht, wie er, gleich zu Beginn schon halb ertrunken gewesen waren. Sie hatten sich um den Vordersteven, einen ungeheuer dicken Balken aus hartem Holz, gesammelt und, nachdem sie an ihren Handgelenken festgebundene Taschen mit Werkzeugen und Waffen herangezogen hatten, mit umwickelten Hämmern Nägel in dieses Holz getrieben und kleine Seilschlingen, die gerade groß genug waren, um als Fußschlaufen zu dienen, darangehängt. Jack ließ eines seiner Enterbeile los, fuchtelte mit dem Arm und schnappte sich eine leere Schlinge. Nach einigem Strampeln gelang es ihm, einen Fuß hineinzubekommen. Jewgeni, der, ebenfalls mit schwarzem Fett eingeschmiert, kaum sichtbar war, stand über ihm in einer anderen dieser Fußschlaufen. Er streckte Jack eine Hand entgegen und zog ihn vollends aus dem Wasser. Jack und Jewgeni klebten nun auf einer Seite des Vorderstevens zusammen am Schiffsrumpf. Jewgeni schlug Jack fünf Mal auf die Schulter, was so viel bedeutete, wie: »Wir sind zu fünft«. Also mussten Gabriel und Nyazi auf der anderen Seite des Vorderstevens ihre eigenen Fußschlaufen angebracht haben. Und Dappa war dem Schicksal der Kielholung anscheinend auch entronnen.

    In der nun folgenden Stunde kam fast so etwas wie Langeweile auf. Die allgemeinen Umstände waren natürlich alles andere als langweilig, aber Jack blieb einfach nichts anderes zu tun als dazuhängen und auf den Tod oder die Erlösung zu warten. Jewgeni reichte ihm einen Sack. Darin fand Jack eine Kniehose, einen Gürtel und das Janitscharenschwert. Die Galiot befreite sich und ruderte davon, angetrieben von einer neuerlichen Fluchtirade der wutentbrannten Spanier – die fast im selben Moment erkannt hatten, dass sie vom Gezeitenstrom flussabwärts getrieben wurden und schon über eine Meile von der Villa des Vizekönigs entfernt waren. Sie prüften die Ankertrossen und fanden, dass sie stramm, aber nicht stramm genug gespannt waren. Dann versuchten sie, sie einzuholen, und stellten fest, dass sie sich in Jacks und Dappas rätselhaften Tauen verheddert hatten. Geschrei und dumpfe Schläge hallten schwach durch die Beplankung des Rumpfs, als die Mannschaft aufs Unterdeck befohlen wurde, um die Langruder zu besetzen.
    Doch kaum hatten sie in der breiten Flussmündung unterhalb von Sanlúcar de Barrameda zu rudern begonnen, als die Galiot – die sie durch die Nacht verfolgt hatte – mit einer Geschwindigkeit, von der die rundliche, mit Bernakelmuscheln überzogene Brigg nur träumen konnte, aus der Dunkelheit hervorschoss und so auf sie zukam, als hätte sie es auf einen Frontalzusammenstoß angelegt. Erst im allerletzten Moment lenkte sie (zur Erleichterung von Jack und den anderen, die sonst zerquetscht worden wären) nach Steuerbord, zog auf dieser Seite die Riemen ein und strich seitlich an der Brigg entlang, wobei sie die Hälfte von deren Langrudern abrasierte und sie wie einen Vogel mit einem abgeschossenen Flügel zurückließ.
    Das war nun zweifelsohne ein offener Angriff, für die Brigg der erste unwiderlegliche Beweis, dass sie von Piraten überfallen wurde. Also handelte der Kapitän genau wie van Hoek vorausgesagt hatte: Er befahl, als Signal an diejenigen, die von den Zinnen von Sanlúcar de Barrameda aus über den Hafen wachten, eine Kanone herauszurollen und abzufeuern.
    Ein einzelner Kanonenschuss in der Nacht ist allerdings ein unklares und schwer zu interpretierendes Zeichen – vor allem, wenn das, was es zu sagen versucht, etwas äußerst Unwahrscheinliches ist, wie zum Beispiel, dass ein Schatzschiff des Vizekönigs mitten in einem der bedeutendsten Häfen Spaniens von einer Korsaren-Galeere überfallen wird. Und die Brigg hatte ihr Notsignal kaum abgegeben, da feuerte
ein anderes Schiff etwas weiter draußen auf See mehrere ab: Das war die Météore , die Jacht , die bei Sonnenuntergang unter holländischer Flagge aus dem Golf aufgetaucht war. Als Antwort ertönte eine unzusammenhängende Folge von Signalen aus den Batterien der Stadt. Das geschah auf Betreiben des Cargador metedoro , dem eingeredet worden war, dass auf dieser Jacht Waren für ihn ankämen, und der nicht am

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