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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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dem Wasser ziehen können. Aber er hatte ja noch ein zweites Enterbeil, das an einem Strick um seinen Hals hing und nutzlos gegen den Rumpf prallte. Und da Jack sich irgendwie die Zeit vertreiben musste, während er gehäutet wurde und ertrank, strampelte er solange im Wasser, bis er dieses Beil zu fassen bekam, holte damit aus, so gut es gegen die verfluchte Strömung ging, und trieb es so fest und so hoch er konnte, in den Rumpf der Brigg. Auf ein scharfes Knirschen von Bernakelmuscheln folgte das willkommene dumpfe Fauchen von Eisen, das in Holz fährt. Jack zog jetzt mit beiden Händen, holte dann mit dem ersten Beil aus und schlug erneut zu; schließlich gelang es ihm, das Gesicht durch den aufgewühlten Kamm der Bugwelle hindurch nach oben zu bringen. Sein erster Atemzug versorgte ihn nur zur Hälfte mit Luft und zur anderen mit Wasser, aber das reichte schon aus. Zwei Mal schlug er die Enterbeile noch mit voller Wucht in den Rumpf und dann waren Kopf und Brust über Wasser. Er wickelte sich die geflochtenen Haltestricke der Beile
um die Handgelenke, um sich dann für ein oder zwei Minuten hängen zu lassen und einfach nur zu atmen.
     
    Zu atmen erschien ihm unendlich viel großartiger und bedeutsamer als alles, was um ihn herum vor sich gehen mochte, doch nach einer Weile verlor es den Aspekt des Neuen, und er begann aufzuwachen und sich über seine Lage klar zu werden.
    Die Lichter am Ufer waren verschwunden, was bedeutete, dass sie wie geplant in der Fahrrinne trieben. Vermutlich glitten sie immer noch an dem Niemandsland zwischen Bonanza und Sanlúcar de Barrameda vorbei. Und dennoch zeigte die Brigg nach wie vor flussaufwärts, und ihre Ankertrossen waren durch die schwere Kette, die sie über den Grund des Flusses schleifte, immer noch straff gespannt. Jemand an Bord der Brigg, dessen Aufmerksamkeit ganz der Tatsache galt, dass sie gerade mit einer Teppich-Galiot zusammengestoßen waren, bemerkte die Drift womöglich gar nicht.
    Auf Deck, was für Jacks Empfinden auch ein anderer Kontinent hätte sein können, war zwischen Mr. Foot und einem Spanier (dem ranghöchsten Offizier der Brigg, vermutete Jack) eine heftige Diskussion entbrannt. Letzterer schien zu glauben, dass er Mr. Foot vor seiner Mannschaft überaus demütigte, indem er ihm eine grundlegende Lektion darüber erteilte, wie man ein Schiff in einer Flussmündung richtig vor Anker legte. Der keineswegs verlegene Mr. Foot bemühte sich nach Kräften, den Streit in die Länge zu ziehen, indem er alles, was der andere sagte, einigermaßen, aber eben nicht ganz verstand. Seine Fähigkeit, selbst die einfachsten Aussagen misszuverstehen, hatte seine Umgebung jahrelang zur Weißglut gebracht. Nun konnte er sie endlich nutzbringend einsetzen.
    In der Zwischenzeit täuschten die Ruderer auf der Galiot Trägheit vor, indem sie sich ganz allmählich in Position begaben, um von der Brigg wegzurudern. Doch bestimmte Verzierungen am hohen Heck der Galiot hatten sich mit ganz und gar funktionalen Elementen am Bugspriet der Brigg, nämlich dem Stampfstock (einer senkrechten Spiere unter dem Klüverbaum) und den Stagen, die ihn in Position hielten, verheddert. Die Befreiung der beiden Schiffe ging ziemlich langsam und geräuschvoll vonstatten, was gut war, denn wenige Yard davon entfernt war die Verschwörertruppe eifrig mit Dingen beschäftigt, die unter anderen Umständen Tote geweckt hätten.
    Die Brigg hatte um ihren Vordersteven herum so etwas wie einen
blinden Fleck (jedenfalls hofften sie das). Der Vordersteven war nichts anderes als der vorderste Teil des Kiels, dort wo er die Wasserlinie durchbrach und schräg nach oben ragte, um die Galionsfigur, den Bugspriet und die Führungsleinen rund um den Bug des Schiffes zu tragen. Er ermöglichte es dem Schiff, bei hohem Seegang gegen die Wellen anzukämpfen, und besaß daher keine instabilen Teile wie Ladeluken und Schießlöcher, die leicht undicht werden und einbrechen konnten. Außerdem war er scharf eingezogen und vom Deck darüber nur schwer zu sehen. Ganz im Blick hatte man ihn nur, wenn man sich am Bug hinkniete und den Kopf unten durch das Scheißloch steckte (was die Architekten des Plans für unwahrscheinlich gehalten hatten)
    oder wenn man auf den Bugspriet hinauskletterte, um die Sprietsegel zu bedienen. Diese Segel würden heute Nacht nicht gebraucht werden, und dennoch lag hier eine Gefahr, denn mehrere Matrosen waren hinausgeklettert, um die beiden Schiffe endlich voneinander

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