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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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sind.«
     
    Später an diesem Tag fuhren sie, zumeist unter Segeln, flussaufwärts. Das eigentliche Flussbett war ein paar Faden tief und vielleicht eine
Viertelmeile breit – was bedeutete, dass sie nie mehr als eine Achtelmeile von französischen Dragonern entfernt waren. De Jonzac hatte nämlich zwei Paar Reiter ausgeschickt, um sie zu überwachen, je eines an jedem Ufer.
    Sobald die Galiot Rosetta – eine lose Ansammlung von überwiegend bescheidenen Behausungen ohne eine Stadtmauer zur Markierung ihrer Grenze – hinter sich gelassen hatte, wurde Jack von seiner Bank weggeschleppt, mit diversen eisernen Halsbändern, Handfesseln und Fußeisen versehen und in den Schutz des Achterdecks gebracht, wo Jewgeni eine Viertelstunde lang auf einen Amboss einschlug, mit Ketten rasselte und andere Geräusche produzierte, die jeden, der sie hörte, davon überzeugen sollten, dass Jack gerade sicher in Ketten gelegt wurde. Unterdessen schrie und fluchte Jack – schon immer ein Freund großer Dramatik -, als böge Jewgeni glühende Eisenstangen direkt um seine Handgelenke. Der tatsächliche Grund für seine Schmerzensschreie war, dass Jewgeni ihm Hände voll Ziegenhaar aus Gesicht und Kopfhaut rupfte. Auf seiner Haut blieb eine schuppige Kruste aus verhärtetem Pinienharz zurück. Nach verschiedenen Abreibungen mit Terpentin und Lampenöl war sie verschwunden, aber mehrere Hautschichten auch, so dass Jack sich vom Schlüsselbein aufwärts wund fühlte. Er wickelte einen Turban um seinen brennenden Kopf, zog sich an, schnallte sein Schwert um und schlenderte, jeder Zoll ein Janitschar, für jedermann sichtbar an Deck; dann hielt er inne, drehte sich um und rief einem imaginären, in Ketten gelegten armen Wicht Schimpfworte auf Sabir zu.
    Während dieser Vorstellung wagte er es nicht, sein Publikum direkt anzuschauen, aber van Hoek beobachtete die Dragoner durch eine Ruderdolle und berichtete, dass sie das Meiste davon wohl mitbekommen hätten. Allerdings blieb ihnen gar nicht viel Muße zum Beobachten. Der Fluss hatte jetzt seinen Höchststand erreicht, füllte sein Bett aus und ergoss sich an vielen Stellen in das angrenzende Gelände, so dass die Galiot sich nicht, wie es zu anderen Jahreszeiten der Fall gewesen wäre, ihren Weg um Untiefen herum suchen musste. Die Strömung war dennoch mäßig, so dass sie ohne weiteres stromaufwärts sieben Meilen pro Stunde schafften. Jack hatte eine Wüste erwartet, und es war unschwer zu erkennen, dass es weiter draußen eine gab, denn alles war von einem gelben Staubfilm überzogen. Doch von hier aus betrachtet war Ägypten genauso feucht und fruchtbar wie Holland. Und genauso übervölkert. Selbst in den entlegensten Landstrichen
waren immer noch ein paar Behausungen zu sehen. An Dörfern kamen sie mehrmals in der Stunde und an größeren Städten mehrmals am Tag vorbei. Denn so weit sie zu beiden Seiten des Flusses schauen konnten, war die flache Landschaft bedeckt mit goldenen Korn- und Reisfeldern und durchzogen von gewundenen Linien in dunklerem Grün: den zahllosen Wasserläufen des Deltas, gesäumt und oft verstopft von mannshohen Schilfrohren und Binsen. Palmen wuchsen, aufgereiht wie Zaunpfähle, an Wasserwegen entlang, und Städte waren von Gürteln aus Zitrus-, Feigen- und Kassiahainen umgeben.
    Für die Verschwörer war das alles einfach Landschaft, für die französischen Reiter dagegen ein Hindernisparcours. Sie fielen hinter der Galiot zurück, wenn sie in weitem Bogen um Flusswindungen oder überflutete Felder herumreiten mussten, und holten wieder auf, wenn sie, quer über eine der riesigen Schlaufen des Flusses, eine Abkürzung fanden. Zu ihrem Glück hatten sie Rosetta mit Koppeln frischer Handpferde verlassen; und Ägypten war, wie die meisten Länder des Osmanischen Reiches, ein ruhiges, geordnetes Land. Über seine Landstraßen zu reisen, war nicht so einfach wie in England, aber einfacher als in Frankreich, und so konnten sie den Tag über gut mithalten. Das ließ Moseh, Jack und die anderen hoffen, dass die vier, die vorausgeritten waren – Nyazis Gruppe -, Kairo ohne Probleme erreicht hatten.
    In der Nacht flaute der Wind ab. Statt zu versuchen, durch die Dunkelheit zu rudern, und vielleicht auf Grund zu laufen oder sich in irgendeinem Seitenarm zu verirren, vertäute der Raïs die Galiot einfach an einer der Palmen am Ufer und teilte die Wachen unter den Verschwörern auf. Die Dragoner dienten ihnen als außen gelegener Wachposten, waren sie doch auch

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