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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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hatte), dem Türken, dem Nubier und einigen von Nyazis Clanbrüdern (die wissen wollten, wie es war, auf einem Boot zu fahren), machte der Raïs die Leinen der Galiot los und steuerte flussabwärts auf eine wenige Meilen entfernte mitten im Fluss liegende Insel zu, wo Schiffe ge- und verkauft wurden. In der Zwischenzeit formierte sich die Kamelkarawane und machte sich bereit zum Aufbruch.
     
    Einige der Galeerensklaven hatten, während sie die beiden Alternativen abwägten, vor denen sie standen, bohrende Fragen über den Plan gestellt. »Warum verschwindet ihr nicht einfach mitsamt eurem Schatz aus der Stadt? Warum wollt ihr unbedingt auf diesen Investor warten – der euch doch offensichtlich nur übers Ohr hauen will?« Jack konnte solche Überlegungen durchaus nachvollziehen. Letztlich musste er aber Moseh und Nasr al-Ghuráb recht geben, die statt einer Antwort nur mit dem Kinn auf die von den Türken erbaute Stadt El Giza jenseits des Nils deuteten. Dort gab es Moscheen, belaubte Gärten, Bäder und Freudenhäuser. Aber es gab auch Kerker und hohe Mauern mit eisernen Haken daran und ein Champs de Mars , auf dem Tausende
von Janitscharen mit Musketen und Lanzen exerzierten. Dort würde es auch Richter geben, von denen manche sicher Verständnis für einen französischen Herzog hätten, der eine Horde von Sklaven beschuldigte, ihn beraubt zu haben.
    Die türkischen Behörden waren bereits von ein paar erschöpften französischen Dragonern alarmiert worden, die auf halbtoten Pferden angaloppiert kamen, als die Kamele beladen wurden. Und so wurde die Karawane, als sie den Nil hinter sich ließ und begann, sich durch die zweitausendvierhundert Stadtbezirke und Viertel von Kairo zu winden, aufmerksam von Janitscharen verfolgt und außerdem von Hunderten von Bettlern, Vagabunden, Hausierern, Kurtisanen und neugierigen Jungen.
    Nun war Kairo eine Art Komplizin bei allem, was dort passierte. Es war so groß, dass es jede Armee verschlang, so weise, dass es jeden Plan erfasste, und so alt, dass es ganze Rassen, Nationen und Religionen überlebt hatte. Deshalb konnte hier ohne die Einwilligung der Stadt im Grunde gar nichts passieren. Nyazis bis an die Zähne bewaffnete und mit Tonnen von Gold beladene Karawane aus drei Dutzend Pferden und Kamelen war hier gar nichts. Ihr Zug aus Menschen und Tieren wurde häufig in Hälften, Drittel und noch kleinere Stücke zerhackt, wenn Prozessionen, die noch sonderbarer waren, urplötzlich aus schmalen Gassen herausgeschossen kamen und ihren Weg kreuzten: Horden von verschleierten Frauen, die unter Heulen und Wehklagen vorbeirannten, Kolonnen von trommelschlagenden Derwischen mit hohen, kegelförmigen Hüten, in Tücher gehüllte Leichen, die auf Stelzen umhergetragen wurden, und Schwadronen von Janitscharen in Grün und Rot. Hin und wieder stießen sie auf einen Shavush in seinem smaragdgrünen, knöchellangen Gewand, seinen roten Stiefeln, seiner Lederkappe und seinem phantastischen Schnurrbart. Dann musste jedes Kamel in der Karawane dazu gebracht werden, sich hinzuknien, und alle Reiter mussten absteigen, bis er vorbeigezogen war; und solange sie anhielten, kamen Vagabunden herbei und besprühten sie mit Rosenwasser und erbettelten Geld dafür.
    Selbst wenn Jack beim Verlassen der Galiot nicht gewusst hätte, dass Ägypten das älteste Land der Welt war, hätte er es nach einer Stunde langsamen Vorankommens durch Kairos Straßen kapiert. Er konnte es in den Gesichtern der Menschen sehen, die eine Mischung aus allen Rassen waren, von denen Jack je gehört, und noch welchen
dazu, von denen er noch nie gehört hatte. Jedes Gesicht erzählte so viele Geschichten wie eine ganze Galeere voller Rudersklaven. Dasselbe galt für ihre Häuser, von denen manche aus Steinen bestanden, andere aus Zimmerholz, das so alt und knorrig war, dass es versteinert wirkte, die meisten aber aus handgeformten und grob gebrannten Backsteinen, von denen manche aussahen, als trügen sie Handabdrücke von Moses persönlich. Es wurden ebenso viele Gebäude abgerissen wie gebaut, was völlig einleuchtete, da der gesamte Platz ausgenutzt worden war und man nichts anderes tun musste, als das ganze Material von einer Baustelle zur anderen zu befördern, genauso wie der Nil die Sandbänke des Deltas unaufhörlich aufbaute und zerstörte, indem er nach Lust und Laune Sandkörner von einem Ort zum anderen schob. Sogar die Pyramiden hatten an ihren Ecken angenagt ausgesehen, so als hätten sie den Leuten als

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