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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Wesentlichen aus sechs wuchtigen Bücherborden, jedes ein paar Klafter lang, bestand, die den Abstand zwischen sechseckigen Abdeckplatten überbrückten, welche auf Achsen montiert waren, sodass der ganze Apparat sich drehen ließ. Doch jedes der sechs Borde drehte sich zudem noch um seine eigene Achse. Mit der Drehung des Bücherrades wurde jedes Bord dergestalt in Gegendrehung versetzt, dass sein Winkel zum Boden immer gleich blieb und es seine Bücherlast nicht abwarf.
    Als er ans andere Ende ging, konnte Fatio sehen, wie es funktionierte: Ein aus Hartholz geschnitztes Planetenradgetriebe drehte sich um die zentrale Radachse wie ptolemäische Epizyklen.
    Dann wandte Fatio seine Aufmerksamkeit den Büchern selbst zu:
merkwürdigen Folianten, handgeschrieben, alle in derselben Schrift, alle in Latein.
    »Diese Bücher wurden persönlich von einem Herzog August geschrieben, einem Vorfahren der Sippe, die Ihr gerade kennen gelernt habt. Er ist sehr alt geworden und vor etwa fünfundzwanzig Jahren gestorben. Er war es, der den größten Teil dieser Sammlung zusammengetragen hat«, erklärte Leibniz.
    Fatio beugte sich aus der Hüfte leicht vor, um eine der Seiten zu lesen. Sie bestand aus mehreren Absätzen, denen jeweils ein Titel und eine lange römische Zahl vorausging. »Es ist die Beschreibung eines Buches«, folgerte er.
    »Der Prozess der Abstraktion geht weiter«, sagte Leibniz. »Herzog August konnte sich den Inhalt seiner Bibliothek nicht merken, also schrieb er Kataloge. Und als die Kataloge zu zahlreich wurden, als dass er sie bequem benutzen konnte, ließ er von Schreinern Bücherräder anfertigen – Maschinen, die den Gebrauch und die Führung der Kataloge erleichterten.«
    »Ausgesprochen sinnreich.«
    »Ja – und dabei erst sechzig Jahre alt«, gab Leibniz zurück. »Wenn Ihr einmal nachrechnet, wie ich es getan habe, könnt Ihr leicht demonstrieren, dass die Aufbewahrung aller Kataloge, die zur Erfassung sämtlicher Bücher der Welt erforderlich wären, so viele Bücherräder verlangte, dass wir mehrere Bücherrad-Räder bräuchten, um sie zu drehen, und ein Bücherrad-Rad-Rad, um sie alle zu bedienen...«
    »Das Deutsche ist in dieser Hinsicht eine praktische Sprache«, sagte Fatio diplomatisch.
    »Und so weiter, ohne dass ein Ende in Sicht wäre! Es gibt nicht genügend Schreiner, um alle Getriebe zu schnitzen. Neue Arten von Wissensmaschinen werden erforderlich sein.«
    »Ich muss gestehen, dass ich Euch nicht mehr folgen kann, Doktor.«
    »Seht her – jedes Buch ist durch eine Zahl gekennzeichnet. Die Zahlen sind willkürlich, bedeutungslos – eine Art Code, wie die Namen, die Adam den Tieren gegeben hat. Herzog August war von alter Schule und benutzte römische Ziffern, was die Sache umso undurchschaubarer macht.«
    Leibniz führte Fatio von der Mitte des Raumes zu den rauen Steinwänden, die größtenteils von hohen, dicken, mit Segeltuchplanen abgedeckten Wällen verbarrikadiert waren. Er hob die Ecke einer Plane an und schlug sie zurück, so dass man sah, dass es sich bei dem Wall
um einen Stapel tausender von Bücher handelte. Alle waren sie auf die gleiche Weise, nämlich in Schweinsleder, gebunden (denn wie viele adelige Bibliophile hatte Herzog August alle seine Bücher in Form von losen Bögen gekauft und sie in seiner Buchbinderwerkstatt von seinen Dienern binden lassen). Die neuesten (also diejenigen, die weniger als ein halbes Jahrhundert zählten) waren noch weiß. Ältere hatten sich cremefarben, beige, hellbraun, dunkelbraun und teerschwarz verfärbt. Viele trugen Narben von längst vergessenen Begegnungen zwischen Schweinen und Stöcken von Schweinehirten. In einer Handschrift, die Fatio nun als die von Herzog August erkannte, waren sie mit dem Titel und der schon bekannten langen römischen Ziffer versehen worden.
    »Jetzt liegen sie noch auf einem Haufen, später werden sie in Regalen stehen – gleichwie, auf welche Weise findet Ihr, was Ihr sucht?«, fragte Leibniz.
    »Ich glaube, Ihr befragt mich nach sokratischer Weise.«
    »Und Ihr dürft auf jede Weise antworten, die Euch beliebt, Monsieur Fatio, vorausgesetzt Ihr antwortet überhaupt.«
    »Man würde sich vermutlich nach den Zahlen richten. Immer angenommen, die Bücher wären in numerischer Reihenfolge in die Regale gestellt worden.«
    »Nehmt es ruhig an. Die Zahlen bezeichnen lediglich die Reihenfolge, in welcher der Herzog die Bände erworben oder wenigstens katalogisiert hat. Sie sagen nichts über den

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