Confusion
ein großer, stattlicher Caballero mit einem Loch, gleichsam einem dritten Auge, mitten auf der Stirn. Das war Carlos Olancho Macho y Macho: ein großer Schiffskapitän, der in ganz Neuspanien wegen seiner großartigen Heldentaten gegen die Bukaniere berühmt war, die die Karibik unsicher machen (die übrigens – egal wie die Engländer sie sehen
– für uns ein Schlangenloch auf dem Seeweg von unseren Schatzhäfen nach Spanien ist; ein Spießrutenlauf zwischen Feuer, Kanonenkugeln und blutigen Entermessern, der keiner einzigen unserer Galeonen erspart bleibt). Groß ist die Zahl der Piraten, die von Carlos Olancho Macho y Macho oder El Torbellino, wie seine Anhänger ihn nannten, hingemetzelt worden waren, und zwanzig Galeonen würden das Silber nicht fassen, das er vor den Krallen der Protestanten bewahrt hatte. Aber dann hatte er sich in einer Schlacht gegen die Piraten-Armada von Käpt’n Morgan vor dem Archipiélago de los Colorados diese Pistolenkugel zwischen den Augen eingefangen. Seitdem war er dermaßen übel gelaunt gewesen, dass alle um ihn herum – vor allem seine höheren Offiziere – ständig um ihr Leben bangten, und seine Gedanken hatte er nur in Worte fassen können, indem er diese vor einem Spiegel mit der linken Hand rückwärts schrieb – was sich in der Hitze des Gefechts als verhängnisvoll unpraktisch erwies. So hatte El Torbellino sich äußerst widerwillig bereit erklärt, in diesem Nonnenkloster in den Ruhestand zu gehen. Jeden Tag kniete er neben mir in der Seitenkapelle und betete um die Fürsprache des heiligen Nicolas von Friesland, dessen Wahrzeichen ein Wikinger-Breitbeil war, das exakt in der Mittellinie seiner Tonsur steckte: Diese Wunde hatte ihm die übernatürliche Gabe verliehen, die Sprache der Seeschwalben zu verstehen.
Nun werde ich mehrere Jahre in einem Satz zusammenfassen: El Torbellino lehrte mich alles, was er von der Kriegskunst wusste, und dazu noch ein paar Dinge, von denen ich vermute, dass er sie spontan erfand. Auf diese Weise brachte er mir die phantastischen Beschreibungen und den Zauber jener verstaubten alten Bücher näher. Aber nicht zum Greifen nahe, denn meine Fertigkeiten mit Entermesser, Rapier, Dolch, Pistole und Muskete hatten letztlich nicht viel zu bedeuten. Ich lebte ja nach wie vor in einem Nonnenkloster in Darién. Als ich zur ganzen Fülle meiner Männlichkeit herangewachsen war, fing ich an, mir einen Plan zurechtzulegen, wie ich zur Küste entkommen, vielleicht eine Mannschaft aus alten Seebären zusammenstellen, zur Jagd auf Bukaniere in die Karibik hinausfahren und, wenn ich mir erst einmal selbst einen Namen gemacht hätte, König Karl II. meine Dienste als Freibeuter anbieten könnte. Dieser König war jeden Tag in meinen Gedanken zugegen: El Torbellino und ich knieten vor dem Bild des heiligen Lemuel, dessen Wahrzeichen der Korb war, in dem man ihn herumgetragen hatte, und beteten für Seine Majestät.
Doch dann traf es sich, dass die Piraten, bevor ich losfahren und sie suchen konnte, zu mir kamen.
Selbst so unwissenden und dummen Leuten wie euch ist wahrscheinlich bekannt, dass vor einigen Jahren Käpt’n Morgan mit einer Armada von Jamaika aus lossegelte, Portobello überfiel und plünderte und dann an der Spitze einer Armee die Landenge überquerte und die Stadt Panama verwüstete. Zum Zeitpunkt dieser Gräueltat befanden El Torbellino und ich uns auf einem langen Jagdausflug in den Bergen. Wir versuchten, einen der Werjaguare zu finden und zu töten, von denen die Indios mit einer so echt erscheinenden Ernsthaftigkeit sprachen...«
»Habt ihr einen erwischt?«, fragte Jack, der nicht an sich halten konnte.
»Das ist eine andere Geschichte«, antwortete Jeronimo mit offensichtlichem Bedauern und einer für ihn untypischen Selbstbeherrschung. »Unser Streifzug führte uns weit hinunter auf die Landbrücke, und wegen los parásitos , über die ich mich am besten gar nicht auslasse, zog sich unsere Rückkehr in die Länge. Während unserer Abwesenheit hatte Morgans Flotte Portobello überfallen, und seine Vortrupps waren bereits dabei, auf der Suche nach dem besten Weg über die Wasserscheide ins Landesinnere vorzudringen. Einer davon, bestehend aus vielleicht zwei Dutzend dieses Seeräubergesindels, war über das Nonnenkloster hergefallen und mit der Plünderung schon ziemlich weit gekommen. Als El Torbellino und ich uns näherten, konnten wir das Zersplittern der Buntglasfenster und das Schreien und Stöhnen der Nonnen
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