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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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klar wurde, mein neues Zuhause werden sollte; und meine Trauer darüber, dass man mich aus dem Schoß meiner Familie gerissen hatte, wurde durch die Ähnlichkeit dieses Bauwerks mit unserem Stammsitz nur noch verstärkt. Denn auch dieses war eine in schwindelnder Höhe auf einer Klippe errichtete Festung, in der es sonderbar seufzte und pfiff, wenn die transisthmischen Winde durch ihre engen, kreuzförmigen Fensterlaibungen bliesen.
    Das waren nahezu die einzigen Geräusche, die an mein Ohr drangen, bis ich erwachsen war, denn diese Nonnen hatten ein Schweigegelübde abgelegt – und im Übrigen erfuhr ich schon bald, dass die Indio-Frauen aus einem bestimmten Tal im Gebirge kamen, wo in noch größerem Ausmaß Inzucht betrieben wurde als bei den Habsburgern, und dass keine von ihnen hören konnte. Die einzige gesprochene Sprache, die ich je zu hören bekam, war die der Fuhrleute und Viehtreiber, die den Berg heraufkamen, um Lebensmittel zu bringen, und die der verschiedenen anderen Gäste, die, wie ich, die christliche Gastfreundschaft der Nonnen genossen . Es gab nämlich zu keiner Zeit weniger als ein halbes Dutzend Bewohner in der Gästeunterkunft: Männer ebenso wie Frauen, die, nach ihrer Kleidung und ihrer persönlichen Habe zu urteilen, aus vornehmen oder gar adligen Familien stammten. Meine Mitgäste schienen gesund zu sein, benahmen sich aber merkwürdig: Manche brachten beim Sprechen die Worte durcheinander oder blieben so stumm wie die Nonnen, andere wurden fortwährend von teuflischen Visionen geplagt oder waren schwachsinnig und nicht imstande, sich Ereignisse zu merken, die gerade mal eine Viertelstunde zurücklagen. Männer, die von Pferden einen Tritt an den Kopf bekommen hatten, Frauen, deren Pupillen unterschiedlich groß waren. Manche blieben die ganze Zeit in ihren Zimmern, von den Nonnen eingeschlossen oder an ihre Betten gebunden. Ich dagegen konnte mich überall frei bewegen.
    Zu gegebener Zeit wurde mir Lesen und Schreiben beigebracht, und ich begann einen Briefwechsel mit meiner geliebten Mutter in Spanien. In einem dieser Briefe sagte ich ihr, ich könne nicht verstehen, warum ich an diesem Ort aufwachsen müsse. Der Brief reiste in einem Eselskarren den Berg hinunter und überquerte den Ozean im Frachtraum
einer Schatzgaleone, die zu einer ganzen Flotte gehörte, und ungefähr acht Monate später hatte ich meine Antwort: Mama erklärte mir, Gott habe mich bei meiner Geburt mit einem Geschenk gesegnet, das nur wenigen zuteil werde, nämlich, dass ich ohne Furcht die Wahrheit sagte, die in meinem Herzen sei, und ausspräche, was alle anderen insgeheim dächten, aber vor lauter Feigheit nicht äußerten. Sie sagte mir, das sei ein Geschenk, das normalerweise nur die Engel bekämen, das mir aber durch eine Art Wunder gewährt geworden sei; allerdings seien in dieser sündigen und korrupten Welt jene Unbedarften zahlreich, die alles hassten und fürchteten, was von den Engeln komme, und die mich sicher beschimpfen und schikanieren würden. Deshalb hatte meine liebe Mama sich selbst das Herz gebrochen, indem sie mich fortschickte, damit ich von Frauen großgezogen würde, die Gott näher waren als irgendeine in Spanien, und die mich jedenfalls nicht hören konnten.
    Zufrieden, wenn auch keineswegs glücklich mit dieser Erklärung, machte ich mich daran, meinen Verstand und meine Seele zu verfeinern: meinen Verstand , indem ich die alten Bücher las, die meine Mutter mir aus der Bibliothek unseres Schlosses in Estremaduras zukommen ließ und in denen über die Kriege meiner Vorfahren gegen die Sarazenen während der Kreuzzüge und der Reconquista berichtet wurde, und meine Seele , indem ich den Katechismus studierte und – auf Geheiß der Nonnen – eine Stunde täglich um die Fürsprache eines bestimmten Heiligen betete, der auf einem Buntglasfenster in einer Seitenkapelle der Kirche abgebildet war. Es war Saint Etienne de la Tourette, und das waren seine Wahrzeichen: in der rechten Hand die Segelmachernadel und der Lederriemen, mit denen seine Lippen von einem gewissen Baron zugenäht worden waren, und in der linken die eiserne Zange, mit der ihm bei einer späteren Gelegenheit der Bischof von Metz, der nachmalige heilige Absalom der Heitere die Zunge hatte ausreißen lassen. Die Bedeutung dieser Zeichen blieb meinem Bewusstsein damals allerdings noch verschlossen.
    Mein Körper dagegen entwickelte sich erst von dem Tag an, als, etwa zur Zeit meines Stimmbruchs, ein neuer Gast bei uns eintraf:

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