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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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richtigen Platz zu halten, bis der Knochen wieder zusammengewachsen sei. In der Zwischenzeit war mein linker Vorderzahn herausgeschlagen worden, um eine kleine Öffnung zu schaffen, durch die mir drei Mal am Tag mithilfe einer Art Blasebalg eine breiige Masse aus Milch und gemahlenem Mais verabreicht wurde.
    Rechtzeitig wanden wir uns durch den westlichen Kanal von Veracruz und ankerten unterhalb der Schlossmauern; dort warteten wir einen Sandsturm ab, dann noch einen, und als wir schließlich an Land gingen, mussten wir uns durch Nebelbänke von Stechmücken hindurch kämpfen und hielten für den Fall, dass wir auf Alligatoren treffen sollten, unsere Pistolen schussbereit. Wir verhandelten mit der Neger- und Mulattenbande von Maultierdieben, die hier die Bürgerschaft bildeten, und sorgten dafür, dass man uns in die Stadt brachte. Hier standen überall schäbige, mit Brettern vernagelte Holzhäuser – mir wurde erklärt, dass sie Weißen gehörten, die in Scharen in die Stadt strömten, wenn die Schatzflotte sich um das Schloss herum formierte, sich ansonsten aber auf Haciendas im Hinterland zurückzogen, die in jeder Hinsicht zuträglicher waren. Der einzige Teil von Veracruz, den man zivilisiert nennen kann, ist der Platz mit den Kirchen und dem Haus des Gouverneurs, wo eine Kompanie in Garnison liegt. Als der dortige Befehlshaber die Nachricht von meiner Ankunft erhielt, ließ er seine Kanoniere einen Salutschuss aus ihren
Feldgeschützen abfeuern und schrieb mir mit Vergnügen einen Passierschein für die Reise in die Hauptstadt aus. So zogen wir durch das landeinwärts gelegene Tor, das durch eine Wanderdüne offen gehalten wurde, und wandten uns gen Westen.
    Über diese Reise verliere ich am besten keine weiteren Worte.
    Was Schönheit, Pracht und Ordnung angeht, erwies sich La Ciudad de México als das ganze Gegenteil von Veracruz. Die Stadt erhebt sich aus einem See und ist mit dem Ufer durch fünf Dämme verbunden, von denen jeder sein eigenes Tor hat. Da das ganze Land der Kirche gehört, ist es gezwungenermaßen eine ausgesprochen fromme Stadt, das heißt, man hat dort eigentlich nur dann einen Platz zum Leben, wenn man einem christlichen Orden beitritt. Es gibt dort zwanzig Nonnen- und sogar noch mehr Mönchsklöster, die alle wohlhabend sind, und daneben eine Unmenge von Criollos , die auf der Straße schlafen und eine Gewalttat nach der anderen begehen. Die Kathedrale kann man nur phantastisch nennen, mit ihrem dreihundert bis vierhundert Mann starken Personal und einem Erzbischof an der Spitze, dem sechzigtausend Piaster im Jahr gezahlt werden. Diese Tatsachen erwähne ich nur, um deutlich zu machen, wie beeindruckt ich war; wäre mein Kiefer nicht mit vielen Yard von Leinen zugebunden gewesen, hätte er eine Woche lang offen gestanden.
    Mehrere Tage lang wurde ich durch die Stadt geleitet und von verschiedenen hochmögenden Leuten gefeiert, darunter auch dem Vizekönig und seiner Frau, einer Herzogin von sehr edler Geburt, die aussah wie ein Pferd, dem man die Lippen zurückschiebt, um seine Zähne zu inspizieren. Natürlich konnte ich keine der köstlichen Speisen essen, die mir aufgetischt wurden, aber ich lernte, durch ein hohles Schilfrohr Wein zu trinken. Ebenso wenig war ich in der Lage, meine Gastgeber anzusprechen, aber ich konnte schriftlich Tischreden verfassen und tat das in dem hochtrabenden, altmodischen Stil, den ich aus meinen alten Familiengeschichten kannte. Diese kamen sehr gut an.
    Jetzt bin ich bei dem Teil meiner Erzählung angelangt, wo ich die Ereignisse vieler Jahre rasch zusammenfassen muss. Ich denke, ihr wisst, was als Nächstes geschieht: Irgendwann wurde dann der Verband von meinem Kiefer abgenommen, und man brachte mich in die Kathedrale, wo ich in einer wunderbaren Messe vom Vizekönig zum Ritter geschlagen wurde.
    Als die Zeremonie zu Ende war, kam der Erzbischof, um mir einen
Gruß zu entbieten, ebenso wie dem Vizekönig und der Frau des Vizekönigs, deren Keuschheit und Schönheit er pries.
    Worauf ich sagte, dies sei ja wohl das jämmerlichste Beispiel von Arschkriecherei, das ich je gehört hätte, denn immer wenn ich die Frau des Vizekönigs zu Gesicht bekäme, könnte ich mich nicht entscheiden, ob ich ihr den kräftigen Arschfick, nach dem sie sich so offenkundig sehnte, besorgen oder auf ihren Rücken steigen, rund um den zócalo reiten und mit meinen Pistolen in die Luft schießen sollte.
    Der Vizekönig ließ mich auf der Stelle in Ketten legen und für

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