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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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sie portugiesisch. Nun waren meine Vorfahren spanische Juden. Doch vor zweihundert Jahren, im Jahr der endgültigen Vertreibung der Mauren aus Spanien und der Entdeckung Amerikas, warf Königin Isabella sämtliche Juden raus. Diejenigen, die, in der Rückschau, klug waren, zogen die Strümpfe von Villa Diego an – was bedeutet, dass sie um ihr Leben rannten – und ließen sich in Amsterdam nieder. Meine Vorfahren stahlen sich nur über die Grenze nach Portugal. Aber auch dort war die Inquisition. Als Alvaro de Caminha hinunter nach Sáo Tomé fuhr, um Gouverneur der Insel zu werden, nahm er zweitausend jüdische Kinder mit, die die Inquisition aus dem Schoß ihrer Familien gerissen hatte. In diesem Teil der Welt besaß Sáo Tomé ein Monopol auf den Sklavenhandel – Alvaro de Caminha taufte diese zweitausend und setzte sie in dessen Verwaltung ein. Insgeheim hielten sie jedoch ihren Glauben lebendig, vollzogen hinter verschlossenen Türen Rituale, an die sie sich nur noch vage erinnerten, und murmelten selbst dann in gebrochenem Hebräisch, wenn sie vor dem goldenen Altar knieten, auf dem das Fleisch und Blut Christi dargeboten wurde. Das waren meine Vorfahren. Vor fast fünfzig Jahren kamen die Holländer und verleibten sich Sáo Tomé ein. Doch das rettete den Eltern meines Vaters vermutlich das Leben, denn in allen von Spanien und Portugal beherrschten Gebieten wütete danach die Inquisition. Statt bei lebendigem Leib in irgendeinem portugiesischen Autodafé geröstet zu werden,
wanderten die Eltern meines Großvaters nach Neu-Amsterdam aus und arbeiteten für die holländische westindische Kompanie im Sklavenhandel, etwas anderes hatten sie ja nicht gelernt. Später kam die Flotte des Herzogs von York und stellte diese Stadt unter englische Herrschaft; da war mein Vater aber schon erwachsen und hatte sich ein Manhatto-Mädchen zur Frau genommen...«
    »Wer zum Teufel sind die Manhattos?«
    »Einer der dort ansässigen Indianerstämme«, erklärte Moseh.
    »Ich habe mir doch schon gedacht, dass deine Nase und deine Augen ein gewisses je ne sais quoi an sich haben«, sagte Jack.
    Mosehs Gesicht, das hauptsächlich von der roten Glut in seinem Pfeifenkopf beleuchtet wurde, nahm jetzt einen sentimentalen, verträumten Ausdruck an, der bei Jack instinktiv Unbehagen auslöste. Nachdem Moseh den obersten Knopf seines zerlumpten Hemdes geöffnet hatte, zog er einen Fetzen Stoff hervor, der an einer Lederschnur um seinen Hals hing: irgendeine heidnische Handarbeit. »In dem kümmerlichen Licht kannst du dieses Tshatshke wahrscheinlich nur schlecht erkennen«, sagte er, »aber die dritte Perle vom Rand aus in der vierten Reihe, die hier – in einer Art gebrochenem Weiß – ist eine der Perlen, die der Holländer Peter Minuit vor ungefähr sechzig Jahren, als meine Mutter noch ein Indianerbaby war, den Manhattos im Tausch für ihre Insel gab.«
    »Donnerwetter, die solltest du aber aufheben!«, rief Jack aus.
    »Ich habe sie aufgehoben«, erwiderte Moseh, zum ersten Mal mit einer leichten Gereiztheit in der Stimme, »wie auch der letzte Dummkopf sehen kann.«
    »Hast du irgendeine Ahnung, was sie wert sein könnte?!«
    »So gut wie nichts – aber für mich ist sie unbezahlbar, weil ich sie von Mama bekommen habe. Jedenfalls, um mit der Geschichte fortzufahren, zogen meine Eltern die Strümpfe von Villa Diego an und landeten schließlich in Curaçao, wo ich geboren wurde. Mama starb an den Pocken, Papa am gelben Fieber. Ich stieß auf eine Gemeinschaft von Krypto-Juden, die sich in Ermangelung eines anderen Ortes dort zusammengefunden hatten. Wir beschlossen, uns nach Amsterdam aufzumachen, wohin unsere Vorfahren von Anfang an hätten gehen sollen, und dort unser Glück zu versuchen. Als Gruppe gingen wir an Bord eines Sklavenschiffs, das Zucker nach Europa brachte. Dieses Schiff wurde jedoch von den Piraten von Rabat gekapert und wir endeten alle zusammen als Galeerensklaven, die zu den Klängen
von Hava Naguila ruderten; dank seines lästigen Talents zum Ohrwurm war es das einzige jüdische Lied, das wir kannten.«
    »Gut«, sagte Jack, »jetzt weiß ich, dass du Recht hattest, als du sagtest, die unsichtbare Hand jenes Marktes dort drüben habe unsere Cojones ebenso fest im Griff wie der nubische Ringer die von Jewgeni. Und nun wirst du wahrscheinlich sagen, dass wir es alle wie der Rus machen, nämlich Schmerzen und Schwellungen ignorieren und so eine Art triumphalen Sieg des menschlichen Geistes erringen sollen

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