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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Dudelsack, und er sagte eine ganze Weile lang gar nichts, nicht weil er nichts zu sagen gehabt hätte, sondern weil er zu den Menschen gehörte, die kein Wort von sich geben, bis sie ihrer Gefühle Herr geworden sind. »Es ist der Schlächter von Savoyen«, sagte er auf Französisch zu einem anderen Hugenotten, der unter dem Baum stand.
    »De Catinat?«
    »Nein, der andere.«
    »De Gex?«
    »Es ist ein Feldmarschall, kein Priester.«
    »Aha.« Der andere Hugenotte rannte zu seinem Pferd und galoppierte davon.
    Auf Englisch erklärte LaMotte: »Ich habe das Wappen des neuen französischen Befehlshabers erkannt. Er heißt St. Ruth. Ein Niemand. Unser Sieg ist gesichert.«
    Das Gemurmel der Männer setzte wieder ein, sporadisch brach Gelächter aus. LaMotte kletterte mit einem Gesichtsausdruck vom Baum herab, als hätte er soeben gesehen, wie seine Mutter unter St. Ruths Flaggschiff kielgeholt wurde. Er reichte Bob sein Fernglas, ging dann ohne ein Wort zu seinem Pferd und kanterte mit steifem Rücken davon.
    Bob war froh, dass man ihm das Fernrohr geliehen hatte, denn eines der kleineren, weiter hinten fahrenden Schiffe hatte vertraute Umrisse. Unbewaffnet konnten seine Augen die am Besanmast wehende Flagge nicht genauer erkennen. Er stützte das Fernrohr am Baum ab, und nach einigem Hantieren und Justieren konnte er das Wappen sehen, nach dem er Ausschau gehalten hatte: denn St. Ruth hatte zwei Generalleutnants mitgebracht, und einer davon trug den Titel Earl von Upnor.
     
    Bob hatte im Laufe seines müßigen Frühlings dagesessen und Wunder beobachtet: einen Schmetterling, der sich aus einem Kokon
zwängte, eine Apfelblüte, die aus einer klebrigen grünen Hülse knospten. Diese beiden Entfaltungsprozesse hatten vieles miteinander und mit einem Vorgang gemeinsam, der sich in den nächsten Stunden in Bobs Seele abspielte. Das Verhalten des hugenottischen Kavalleristen diente als Vorbild und Inspirationsquell. Nicht dass es Bob im Allgemeinen an dergleichen mangelte, aber seine Zeit in Irland hatte ihn gleichsam wie eine Puppe in einer starren, trockenen Hülle zusammengepresst und -gefaltet, die ihn schützte, aber auch einsperrte. Dasselbe galt für alle anderen. Doch das Wissen, dass St. Ruth hier war, hatte einen Angstschauer durch das Lager der Hugenotten gejagt und sie alle wachgerüttelt. Bob hatte keine Ahnung, wer St. Ruth war oder was er in Savoyen getan hatte, aber das spielte keine Rolle. Das Ganze hatte jedenfalls den Effekt, dass die Hugenotten sich plötzlich als im Brennpunkt einer Geschichte wahrnahmen. Es war keine Königsgeschichte, und sie würde vielleicht niemals niedergeschrieben werden, aber für sie war es eine gute Geschichte.
    Vor Jahren war Bob auf einem Ohr taub geworden und hatte das darauf zurückgeführt, dass er oft nahe bei Kanonen gestanden hatte. Doch eines Tages hatte ein Bader einen winzigen Haken in das betreffende Ohr eingeführt und einen braunen Schmalzpropfen, hart wie Fichtenholz, herausgezogen, und mit einem Schlag hatte Bob wieder hören können – er hatte so gut hören können, dass es fast wehgetan hatte, und die Vorgänge um ihn herum mit solcher Klarheit wahrgenommen, dass er noch am nächsten Tag Schwierigkeiten gehabt hatte, das Gleichgewicht zu halten. Am 9. Mai 1691 erwachten auf solche Weise alle Sinne Bobs zum Leben, und zum ersten Mal, seit er durch die Boyne gewatet war, während jakobitische Musketenkugeln Löcher in seinen Hut rissen, füllte sich seine Lunge mit Luft.
    Im Laufe der nächsten zwei Wochen brachen sie ihr Lager ab, zogen sich ganz von Limerick zurück und marschierten mit der Sonne im Rücken nach Mullingar, in der Mitte der Insel, wo sich das gesamte Heer König Wilhelms sammelte. Ein paar Tage nachdem sie dort angekommen waren, begannen in Staub- und Lärmwolken die Wagenzüge aus Dublin einzutreffen, welche die großen Kanonen und Mörser brachten, die man vom Tower von London herübergeschickt hatte.
    Am 8. Juni marschierten sie westwärts nach Ballymore, überrannten dort mühelos einen kleinen Vorposten und nahmen eines der besten irischen Regimenter gefangen, das man aus unerfindlichen Gründen mitten im Nirgendwo sich selbst überlassen hatte.

    Am 19. Juni erreichten sie Athlone, das zu beiden Seiten des Shannon lag. Es bestand aus einer englischen Stadt auf der zu Leinster gehörenden Seite – welche die Jakobiten fast umgehend räumten – und einer irischen Stadt auf der zu Connaught gehörenden Seite – in die sie sich

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