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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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handelt?
    Die Antworten lauten Sir Thomas Neale bzw. ja, es wäre vernünftig,
dies anzunehmen – aber FALSCH. Vernünftig, weil unsere Regierung, wie Ihr offenbar gehört habt, bei der Wahl von 90 an die Torys gefallen ist. Falsch, weil dies hier England ist und Ämter und Privilegien nicht gemäß der VERNUNFT ausgeübt werden, sondern WEIL WIR ES SCHON IMMER SO GEMACHT HABEN. Dementsprechend hat Sir Thomas Neale, der Herr der Münze, seinen Posten nicht bekommen, weil er ein Tory ist (denn soweit er überhaupt feste Ansichten zu irgendetwas hat, sind sie eher whigisch, und soweit er überhaupt Freunde hat, sind es Whigs), sondern vielmehr, weil James II. ihm die Stellung unmittelbar nach seiner Thronbesteigung im Februar 1685 gab. Davor hatte Sir Thomas am Hofe Charles II. als Groom-Porter gedient. Die Aufgaben des Groom-Porter sind unklar definiert und nicht ohne weiteres präzise in die Sprache und die Sitten von La France zu übersetzen. Nominell ist der Groom-Porter für die Möbel des Souveräns zuständig. Da diese jedoch selten wechseln, nimmt der Posten nicht sehr viel von seiner Zeit in Anspruch; infolgedessen widmet er einen größeren Teil seiner Zeit kleineren, wandelbareren und verderblicheren Einrichtungsgegenständen, nämlich Würfeln und Karten. Welche anderen persönlichen Unzulänglichkeiten Sir Thomas auch besitzen mag, selbst seine ungerechtesten Kritiker würden ohne weiteres zugeben, dass Mann und Amt niemals so gut zueinander passten wie Sir Thomas Neale und Königlicher Würfelbewahrer.
    Nun sollte man meinen, dass Herr der Münze ein ganz anders geartetes Amt ist, weshalb jene von skeptischer Denkart einwenden könnten, dass es einen anders gearteten Mann erfordern müsste. Doch offenbar hat niemand ein solches Argument vor James II. vorgebracht; falls doch, so hat es Seine Majestät vielleicht nicht verstanden. Tatsächlich wurde die Ernennung von Sir Thomas zum Herrn der Münze von einigen als weiterer Beweis (wenn es denn weiterer Beweise bedurft hätte) dafür aufgefasst, dass eine bestimmte Krankheit sich des königlichen Gehirns bemächtigt habe. Diejenigen unter uns, die nachsichtiger urteilen, könnten in der Ernennung sogar einen gewissen Sinn erkennen. Denn im zerrütteten Verstand von James hatte sich Sir Thomas mit Würfeln und Karten verknüpft, die ihrerseits mit Geld assoziiert waren; daher war Sir Thomas im ganzen Land am besten geeignet, Geld zu prägen, Q.E.D.

    Ich kenne Sir Thomas gut, denn ihm lag außerordentlich viel daran, freundschaftliche Beziehungen zu mir zu pflegen, seit er es sich in den Kopf gesetzt hat, ich sei ein möglicher Kapitalgeber. Auch Ihr, my Lady, könnt es so einrichten, dass Ihr häufig von ihm hört oder ihn sogar mehrmals die Woche vor Eurem Haus herumlungern seht: Ihr müsst ihm lediglich Grund zu der Vorstellung geben, Ihr besäßet einiges Kapital, das sich langweilt und auf ein Abenteuer aus ist. Denn wo manche hommes d’affaires von der Seefahrt und andere von der Universität zum Handel kommen, da kam Sir Thomas vom Glücksspiel, und zwar der Sorte, bei der es nicht um kleines Geld, sondern um fürstliche Einsätze geht. Wo also ein anderer commerçant sich einer Schiffsreise als allumfassender Metapher für das, was ein Geschäftsunternehmen ist, bedienen würde, sieht Sir Thomas alle derartigen Projekte als Würfelspiele. Und wo ein Unternehmer, der in Seefahrtskategorien denkt, darauf achten würde, die Gewinne zu erhöhen und die Risiken zu verkleinern, indem er sein Schiff gründlich kalfatert, gute Seeleute anheuert, das Wetterglas im Auge behält etc., ist Sir Thomas’ Vorstellung von einem gut strukturierten Unternehmen eines, bei dem so weit wie möglich die Würfel präpariert, die Karten markiert und betrügerisch gemischt sind. Das ist auch der Grund, warum ich ihn nicht aus meinem Freundeskreis hinausgeworfen habe; denn so wenig ich etwas von meinem Kapital bei einem seiner Unternehmen aufs Spiel setzen würde, so sehr genieße ich es, sie mir auseinandersetzen zu lassen, ganz ähnlich, wie ich angenehme Ablenkung aus der Lektüre eines lebhaften roman über irgendwelche Gauner ziehen würde.
    Im Übrigen darf ich noch anfügen, dass James’ II. Gleichsetzung von Glücksspiel und Geldverdienen nicht die syphilitische Wahnvorstellung ist, als die sie auf den ersten Blick erschien. Denn während der Zeit erzwungener Untätigkeit, welche der katastrophalen Wahl von 90 folgte, hatte ich Muße, über diverse Vorgehensweisen

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