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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Minuten später ließ der Gestank des sal ammoniac endgültig
nach. Darauf folgte ein Intermezzo von mehreren Stunden, während dessen der Kessel lediglich kochte und eine Dampfsäule auswarf, die hoch über Diu stieg und dann in den blauen Himmel über dem Meer davonzog. Als Jack über den Rand des Kessels spähte, sah er, dass die Flüssigkeit zu einem Bruchteil ihres ursprünglichen Volumens eingekocht war, und gleich unter der schäumenden Oberfläche erblickte er flüchtig eine dicke, strudelnde gelbbraune Masse. Hin und wieder fuhr er mit einer Rührschaufel hinein und prüfte ihre Konsistenz, wie er es bei Enoch Root gesehen hatte. Als es schwieriger wurde, sie durchzurühren, verlangte er nach Holzkohle. Die Masse bekam schwarze Flecken, als Säcke von diesem mehlfein gemahlenen Zeug hineingeschüttet wurden. Jack rührte, bis die Mischung grau war, und so trocken und dick, dass die Rührschaufel fast darin stecken blieb. Auf seiner Stirn kondensierte immer noch Feuchtigkeit, aber er wusste, dass fast alles Wasser weg war und sie jetzt zügig arbeiten mussten. Die anderen wussten genauso viel wie Jack, da sie bei dem Probelauf, der Padraig sein Auge gekostet hatte, dabei gewesen waren. Als nun Jack vom Rand des Kessels zurücksprang, musste keiner ihnen sagen, was zu tun war: Mithilfe von Seilen und Stöcken manövrierten sie einen umgekehrten Trichter vom Durchmesser des Kessels über den Behälter und setzten ihn so darauf ab, dass die Ränder der beiden aufeinanderlagen wie die Lippen bei einem Zungenkuss; damit kein Dampf entweichen konnte, dichteten sie die Nahtstelle mit Kalfaterwerg und flüssigem Teer ab. Alle Dünste, die aus der heißen grauen Masse auf dem Grund des Kessels aufstiegen, wurden nun in den kupfernen Zauberhut geleitet, der nur einen Abzug hatte: einen Kupferschornstein, der sich zur Seite bog, in ein Rohr überging und schließlich in einem U-Bogen in den Boden des kleineren Kessels – des Sprudelgefäßes – mit dem gläsernen Bullauge auf der Seite führte. Der war, wie ein Blick durch die Luke zeigte, mit Wasser gefüllt. Er befand sich zwei Faden über dem Erdboden, und sie hatten ein Gerüst mit einer Plattform aus Bambus errichtet, damit sie daran arbeiten konnten.
    Als Jack mit dem Fortgang des Abdichtens und Versiegelns des großen Zauberhuts zufrieden war, stieg er auf die Plattform – eine Kesselflickerwerkstatt und Apotheke in einem, mit Schöpfkellen, Trichtern, Flaschen und Terrakotta-Gefäßen voll Nelkenöl – und nahm erfreut ein leichtes Ansteigen des Wasserspiegels wahr, gefolgt von einer Art Rülpser und einem kleinen Einbruch, als ein wenig übriggebliebener
Dampf sich durch die Wasserfalle in dem U-Bogen hindurch kämpfte. Das passierte in den nächsten paar Minuten noch einige Male, während der letzte Rest Feuchtigkeit aus der Masse in dem Kessel ausdampfte, doch dann hörte es auf. Danach gab es eine Zwischenphase, die umso unangenehmer wurde, je länger sie dauerte; dennoch bat Jack die anderen, weiterhin das Feuer zu schüren und Vertrauen zu haben. Er prüfte den Wasserstand im Verhältnis zu einer winzigen Blase, die in der Glasscheibe saß, und eine Zeitlang bewegte er sich überhaupt nicht. Dann aber stieg er deutlich an, und einen Augenblick später erhob sich im Wasser schimmernd eine kleine Dampfschwade und brach oben heraus. »Es geht los!«, verkündete er.
    Im Gegensatz zu dem, was Mr. Foot erst unlängst den rechtschaffenen Leuten von Diu vorgegaukelt hatte, besaß Jack nicht die Macht, über die Bewegung der Gestirne zu gebieten. Dass die Sonne kurz darauf unterging, war reiner Zufall. Das Fenster an der Seite des Sprudelgefäßes glänzte im Licht der letzten Sonnenstrahlen, wie spiegelnde Flächen es für gewöhnlich taten. Doch nachdem die Sonne untergegangen war, leuchtete es weiter, so lange, dass sie es erst sonderbar, dann bemerkenswert und schließlich unnatürlich fanden. Mit zunehmender Dunkelheit wurde es nämlich immer heller. Wäre das Fenster nicht viereckig gewesen, hätte man es irrtümlich für den Vollmond halten können. Es wurde so hell, dass Jack, wenn er direkt darauf schaute, benommen wurde und dann gar nichts anderes mehr sehen konnte. Er übertrug Monsieur Arlanc die Aufgabe, den Wasserstand zu überwachen und notfalls Wasser nachzufüllen, damit es nicht verkochte, was der Fehler gewesen war, der zu Padraigs Verletzung geführt hatte. Dann kehrte Jack dem Fenster den Rücken zu und ließ seine Augen sich wieder

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