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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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ihn keineswegs daran hinderte, gleichzeitig weiterzureden. »In der Tat, Daniel, jeder, den man in diesem Kaffeehaus aussuchte – mit ein, zwei Ausnahmen -, wäre den Menschen vorzuziehen, die unsere Münze derzeit leiten: Das sind Bandwürmer .«
    Daniel schaute Roger unverwandt in die Augen, konnte im Hintergrund jedoch sehen, wie der Tory sich abwandte. Der Tory pflanzte sich mit dem Rücken zu Roger auf, stellte seine Kaffeetasse auf einer Anrichte ab, legte eine Hand beiläufig auf das Heft seines Stoßdegens und schien die Schar fröhlicher Whigs zu mustern, die das Lokal bevölkerte.
    »Daraus folgt, dass jeder Fellow der Royal Society ausgezeichnet geeignet wäre – aber bloß ausgezeichnet reicht nicht, Daniel. Normalerweise brauche ich Stunden, um zu erklären, warum das so ist. Ihr habt es Gott sei Dank sofort begriffen. Das Schicksal Britanniens und der Christenheit hängt davon ab, ob das neue, gute Pfund Sterling imstande ist, das schlechte zu vertreiben – jeden Widerstand aus dem Feld zu schlagen und Gold und Silber aus jedem Erdenwinkel zu unseren Ufern zu bringen. Die Qualität von Geld ist nur teilweise auf die Reinheit des Metalls zurückzuführen – auf die jeder Naturphilosoph achten könnte. Sie hat auch mit Vertrauen, mit Prestige zu tun.«
    Daniel war inzwischen aufgegangen, was da auf ihn zukam, und er sackte tiefer auf seinen Stuhl hinunter und schlug die Hände vor die Augen. »Ihr braucht nicht mich, um ihn zu verpflichten, Roger! Ich habe sein Ohr nicht mehr. Ihr braucht Fatio, Fatio, Fatio!«
    »Jeder weiß, dass er in-fatio-iert ist – aber Leidenschaften sind flüchtig. Ihr kennt ihn länger als jeder andere, Daniel. Ihr seid der Richtige dafür. England braucht Euch! Eure Pfründe in Massachusetts wartet!«
    Daniel hatte die Finger gespreizt und lugte zwischen ihnen hindurch. Außerstande, Roger ins Gesicht zu sehen, betrachtete er den fernen Hintergrund. Andrew Ellis – ein gedrungener junger Mann mit einem blonden Pferdeschwanz, ein angenehmer, harmloser junger
Parlamentarier – war mit einem Glas Rotwein in jeder Hand auf dem Weg zu ihnen, darauf bedacht, das Gespräch zu unterbrechen und sein angenehmes Wesen mit Roger zu teilen. Falls Daniel Aussichten hatte, sich aus der Sache herauszulavieren, musste er es jetzt tun. Für Roger Comstock implizierte Schweigen nicht nur Zustimmung, sondern einen mit Blut besiegelten Eid.
    »Ihr wisst gar nicht, was Ihr da vorschlagt: einen solchen Mann im Tower zu installieren, ihm die Kontrolle über unser Geld zu geben. Er hat seltsame Ideen, dunkle Geheimnisse...«
    »Über die Sodomie weiß ich Bescheid.«
    »Nein, davon rede ich nicht.«
    »Die Alchimie ist als Laster noch verbreiteter.«
    »Das meine ich auch nicht. Er ist ein Häretiker, Roger.«
    »Das müsst Ihr gerade sagen!«
    »Ich meine, er glaubt nicht einmal an die Dreifaltigkeit.«
    Wie immer, wenn das Gespräch auf abstrakte theologische Fragen gebracht wurde, bekam Roger einen glasigen Blick. Anders als gewöhnliche Menschen, die bis zur völligen Verglasung mehrere Minuten brauchten, schaffte Roger das im Nu, als wäre aus großer Höhe ein Schiebefenster vor ihm herabgesaust. Daniel spreizte die Finger stärker, um das Phänomen zu beobachten. Doch seine Aufmerksamkeit wurde stattdessen auf etwas noch Merkwürdigeres gelenkt: eine teure, kupferfarbene Perücke, die hinter Rogers Stuhl in der Luft hing. Ihr Träger hatte sich geduckt, war so rasch wie eine zustoßende Kobra darunter hervorgeschnellt und hatte sie schlicht zurückgelassen. Sie fiel natürlich auf den Boden. Inzwischen flüsterte der Besitzer – der rotes, zu einer kurzen Cäsarenfrisur gestutztes Haar hatte – Andrew Ellis etwas ins Ohr. Nach dem entgeisterten – nein entsetzten – Ausdruck zu urteilen, der in das normalerweise strahlende Gesicht von Mr. Ellis getreten war, musste es etwas überaus Fürchterliches sein.
    Daniel stemmte sich von seinem Stuhl hoch, um besser sehen zu können, und nahm wahr, dass der rothaarige Herr sich nun von Ellis zurückzog – doch dieser bewegte sich mit ihm, als wären sie miteinander verbunden, und stieß ein leises Wimmern aus.
    Daniel konnte nicht glauben, was er da sah. »Roger, ich könnte schwören, dass jemand Mr. Ellis ins Ohr beißt.«
    Nun nahm es Roger zum ersten Mal zur Kenntnis. Er stand auf, drehte sich um und verifizierte es rasch. Das ausgedehnte Ins-Ohr-Beißen
hatte bislang wenig Aufmerksamkeit erregt, weil Ellis zu verblüfft war, um etwas zu

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