Confusion
letzte derartige Darlehen, das in Lyon jemals gewährt werden wird, und es wird niemals zurückgezahlt werden«, hätte man Euch für einen Wahnsinnigen gehalten.
Doch Castan suchte das ganze Jahr 1692 Zeit zu gewinnen, versprach, Zinsen zu zahlen, und suchte nach alternativen Rückzahlungsmöglichkeiten. Die schlechte Ernte in jenem Herbst machte die Zahlung völlig unmöglich, und die Kolonnen der galériens , die auf dem Weg nach Marseille durch Lyon marschierten – zumeist gewöhnliche Pariser Bürger, die man beim Plündern von Bäckereien erwischt hatte – dienten dazu, die »Leiden« Lothars in die richtige Perspektive zu rücken. Die gewaltige militärische Operation des vergangenen Jahrs zehrte auf, was das Schatzamt an Geld besaß. Die französischen Siege (so kostspielig sie auch waren) bei Heidelberg, zu Wasser, bei Landen und im Piemont dürften Lothar gewisse Hoffnungen gemacht haben, dass er sein Geld wiedersieht. Wenn ja, so starben diese Hoffnungen im vergangenen Winter, zusammen mit so vielen anderen Dingen. Die Bankiers von Lyon betrachten Lothars Darlehen vom April 1692 mittlerweile als den Moment, ab dem alles schiefging; das Ende einer Epoche. Meine Korrespondenten dort schreiben mir, Immobilien seien in jener Stadt inzwischen für
einen Pappenstiel zu bekommen, weil die Schweizer und deutschen Bankiers ihr allesamt den Rücken kehren, ihre Verluste abschreiben, ihre Truhen zusammenpacken und wegziehen. Eines Tages wird Frankreich seine Entsprechung zur Bank von England haben, und sie wird wahrscheinlich in Paris ansässig sein; aber das wird noch lange dauern, und bis dahin werden sich die Finanzen des Landes in ständiger Konfusion befinden.
Aus allen diesen Gründen habe ich beschlossen, jetzt in Leipzig einzufallen. Doch um zu wissen, wie ich gegenüber Lothar meine Figuren gleichsam am besten auf dem Brett aufstelle, muss ich das Allerneueste über die Esphahnians und über die Machenschaften von Pater Édouard de Gex erfahren. Denn ich weiß, dass kaum ein Tag vergeht, ohne dass er Euch wegen der neuesten Nachrichten über Vrej und dessen Bewegungen in Hindustan in den Ohren liegt.
Wir sehen uns hier immer noch nach einem Beförderungsmittel um. Boote sind in allen Ländern so verschieden wie Hunderassen. In Böhmen, in den Wäldern um den Oberlauf der Vltava, fertigt man Kähne aus Eichenholz und flößt sie in die Gegend von Prag, wo sie fertiggebaut werden. Sie befördern schlesische Kohle in Städte wie Magdeburg und Hamburg, wo ortsansässige Schiffer sie kaufen und für ihre eigenen Zwecke umrüsten. So mögen sie zwar bei ihrer Fertigung in Böhmen, wo die Wasser der Elbe als von Kiefernnadeln rieselnde Regentropfen ihren Anfang nehmen, alle gleich ausgesehen haben, doch wenn ich sie mir hier in Hamburg ansehe, wo die Elbe eine Meile breit ist, ist jedes so einzigartig geworden wie sein Besitzer. Die Vorstellung, eine Herzogin, ihre Tochter und ihren Haushalt dreihundert Meilen weit elbaufwärts zu befördern, erscheint diesen Schiffern, die sich in der Regel nicht weiter als eine oder zwei Tagesreisen flussaufwärts wagen, außergewöhnlich; doch einige der abenteuerlustigeren Geister unter ihnen erwärmen sich für den Gedanken, und es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis wir uns mit einem von ihnen geeinigt haben und aufbrechen. Das Frühjahrstauwetter wird für reichlich Wasser unter dem flachen Kiel unserer Zille (wie diese Lastkähne heißen) sorgen, sodass wir uns nicht allzu sehr um Untiefen sorgen müssen; andererseits kann man bei der heftigen Strömung nur an den windigsten Frühlingstagen flussaufwärts segeln, und so werden wir nur so
schnell vorankommen, wie ein Ochsengespann am Ufer uns ziehen kann. Veranschlagt durchschnittlich zehn Meilen pro Tag; anhand dessen und anhand der Karten Eures Vaters könnt Ihr Euren mathematischen Scharfsinn daran wenden abzuschätzen, wohin Ihr Eure Antwort schicken müsst. Ich schätze, nach Magdeburg; wenn Ihr langsam seid, nach Wittenberg.
Eliza
Eliza an Pontchartrain
MÄRZ 1694
Monsieur,
ein Mann von Eurer Bildung, ein Gelehrter wie auch ein Edelmann, muss wissen, dass das Amt des contrôleur-général mit gewissen Vergünstigungen einhergeht. Wenn Ihr bisher gezögert habt, davon Gebrauch zu machen, so geschah dies nicht aus Unwissenheit, sondern weil Euer einziger Gedanke ist, dem Allerchristlichsten König zu Diensten zu sein. Ich habe längst bemerkt, es aber, da es offensichtlich war, nie angesprochen, dass Ihr
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