Confusion
waren in einem Haus versammelt, wo sie mit Leichtigkeit ausspioniert werden konnten. Wenn sie einen Brief aus einem Ort wie Mocha bekamen, erfuhren de Gex und ich es als Erste; und wenn ein Familienmitglied aus dem Haus ging, um bei einem Chymiker etwas zu kaufen, hatte er es zwangsläufig mit einem Angehörigen der Esoterischen Bruderschaft zu tun, der de Gex gut bekannt ist. Und so hatten wir bis Mitte 1692 alles über die zinnoberrote Tinte erfahren, was es darüber zu wissen gab: wie man sie zusammenbraute und wie man sie sichtbar machte. Außerdem erfuhren wir von Vrejs Bewegungen um das Rote Meer und den Persischen Golf. Der Einzige, der völlig im Dunkeln tappte, war Vrej selbst. Wegen seiner erratischen Bewegungen war seine Familie seit 1689, als sie sich an eine ärmliche Existenz in Paris geklammert hatte, nicht mehr imstande gewesen, ihm einen Brief zukommen zu lassen.
Im September 1692 schließlich segelten die Piraten nach Surat
in Hindustan, um den Höllenhunden zu entkommen, die Lothar von Hacklheber und verschiedene andere, die sie geschädigt hatten, hinter ihnen hergehetzt hatten. Sie wurden aus unerwarteter Richtung von Malabar-Piraten angegriffen, und man nahm ihnen ihren Schatz ab. Mehrere von ihnen, darunter auch Vrej, wateten an die Ufer von Hindustan, wo sie sich zerstreuten. Vrej wurde in das Heer eines regionalen Königs gepresst, eines Vasallen des Großmoguls, dessen nom de guerre Verbreiter des Chaos lautet. Nun könnte man meinen, dass ein Mann in einer solchen Lage kaum besser dran sei als ein Sklave; es scheint jedoch, dass christliche Söldner in den Heeren des Moguls so etwas wie einen höheren Status genießen – auch wenn sie gegen ihren Willen dienen! Das jedenfalls schließe ich aus der Tatsache, dass Vrej endlich imstande war, die Ingredienzen zu beschaffen, die er zum Zusammenbrauen der unsichtbaren Tinte brauchte. Und er war zum ersten Mal seit Beginn seiner Irrfahrten imstande, eine feste Adresse zu nennen. Sein Brief traf im November 1692 in Frankreich ein. De Gex und ich hielten ihn in den chymischen Dampf, der die roten Buchstaben zum Vorschein bringt, und entnahmen ihm die Informationen, die ich Euch gerade gegeben habe. Dann ließ ich meine Fälscher ein exaktes Duplikat des Briefes einschließlich des mit unsichtbarer Tinte geschriebenen Textes anfertigen. Dieses wurde dem Café Esphahan zugestellt und entsprechend von Vrejs Verwandtschaft gelesen. Sie verfassten umgehend einen Antwortbrief. Dessen sichtbarer Inhalt bestand in genau dem rührseligen Gewäsch, das man erwarten würde, doch als de Gex und ich ihn in den Dampf hielten und die verborgene Mitteilung lasen, stellten wir fest, dass er doch sehr viel geschäftsmäßiger war. In ordentlichen zinnoberroten Buchstaben berichteten sie Vrej von dem günstigen Geschick, das der Familie in letzter Zeit widerfahren war.
Ich hatte geplant, meine Fälscher auch davon eine exakte Kopie herstellen zu lassen, wie wir es schon mit dem eingehenden Brief getan hatten; doch de Gex war unter den Bann einer bestimmten Idee geraten und hatte den Entschluss gefasst, ein raffinierteres Spiel zu spielen. Es ärgerte ihn gewaltig, dass er so viele Jahre geduldig abgewartet hatte, nur um dann zu erfahren, dass das salomonische Gold in die Hände von Malabar-Piraten gefallen war, und so hatte er beschlossen, gleichsam die Nessel
zu packen und selbst nach Hindustan zu fahren. Zu diesem Zweck wollte er sich Vrej als Nachrichtenquelle und, wenn möglich, als Komplizen heranziehen. Doch es war erforderlich, die Sache vor anderen Mitgliedern der Piratenbande geheimzuhalten. Der verborgene Kanal der zinnoberroten Tinte war für diesen Zweck hervorragend geeignet. Und so unterschied sich der Brief, den meine Fälscher anfertigten, am Ende ganz erheblich von dem Original. Er war mit Tinte von erbärmlicher Qualität auf dem billigsten Papier geschrieben, das wir auftreiben konnten. Der Klartext glich weitgehend dem des Originals. Doch die unsichtbare Botschaft war völlig anders. In dem Brief, den Vrej geschickt bekam, erhielt er die schlechte Nachricht, dass das Leben für die Esphahnians nur noch schlimmer geworden sei; von seinen Brüdern seien zwei weitere im Schuldgefängnis gestorben etc. Der Stern von Jack Shaftoe jedoch sei (diesem von de Gex persönlich zusammengebrauten Bericht zufolge) nur noch höher gestiegen; er gelte mittlerweile als eine Art pikaresker Held, und es gehe das Gerücht, er habe alle hinters Licht geführt,
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