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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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entsinnen, dass wir, nachdem am Abend des 14. Oktober 1690 der abgetrennte Kopf Eures Schwiegervaters auf dessen eigener Geburtstagsfeier auftauchte, mehrere Jahre lang wenig Nützliches durch diesen Kanal erfuhren.Vrej Esphahnian hatte es fertiggebracht, einige Tage vor dem Heimgang des Duc d’Arcachon einen Brief aus Ägypten herauszubringen, und mehrere Monate später gab er in Mocha eine kurze Mitteilung auf, in der er seine Familie anwies, keinen Versuch einer Antwort zu machen, da er nicht voraussagen könne, wo die Handelsströme ihn als Nächstes hinführen würden.
    In der Zwischenzeit war ich nicht müßig gewesen. Mir war klar, dass die Esphahnians in ihren Briefen eine Form von Steganographie
benutzten, aber ich kam nicht dahinter, wie sie es anstellten. Die Familie war über diverse Elendshütten, Entresols und Gefängnisse in der Gegend von Paris verstreut. Ich dang Diebe, die ihre Besitztümer plündern sollten, und stieß schließlich auf einige Briefe, die Vrej ihnen seit 1685 aus Spanien und der Barbarei geschickt hatte. Auf den Rändern und in den Zwischenräumen zwischen den Zeilen dieser Briefe sah ich in zinnoberroter Schrift geschriebene Mitteilungen. Es war vollkommen eindeutig, dass es sich um eine Art unsichtbarer Tinte handelte, die mittels irgendeiner geheimen, nur den Esphahnians bekannten Kunst sichtbar gemacht worden war. Indem ich sie las, erfuhr ich mehr von Vrejs Geschichte.
    Er war Anfang 1685 nach Spanien geschickt worden, um dort ein Familien-Handelsunternehmen zu gründen. Doch Barbarei-Korsaren hatten ihn entführt und versklavt. Sein Besitzer indessen erkannte bald, dass er außer dem Rudern noch andere Talente besaß, und wies ihm eine Arbeit in einer Hafenstadt in der Nähe von Marokko an, von wo aus er mit seiner Familie korrespondieren konnte. Von dieser erfuhr er von der Katastrophe, die den Pariser Esphahnians widerfahren war, nachdem sie den Fehler begangen hatten, ihr Entresol an Jack Shaftoe unterzuvermieten. Zu dieser Zeit hatte man sie schon wieder aus der Bastille entlassen, aber einer von ihnen war im Gefängnis gestorben, und ihr Geschäft war natürlich ruiniert, sodass in den kommenden Jahre viele immer wieder im Schuldgefängnis landen würden.
    1688 verkaufte Vrejs Besitzer ihn nach Algier. Dort schloss er Bekanntschaft mit einem anderen, des Schreibens und Lesens kundigen Sklaven, einem Juden von großer Klugheit, und im Laufe mehrerer Gespräche mit diesem Juden erfuhr er, dass Jack Shaftoe noch am Leben und als Galeerensklave in derselben Stadt sei. Im Winter 1688-89 teilte Vrej dies seiner Familie in einem Brief nach Paris mit und schlug vor, Jack ausfindig zu machen und ihm die Kehle durchzuschneiden bzw. durchschneiden zu lassen, um sich an ihm zu rächen. Ich besitze natürlich keine Abschrift des darauf an ihn geschickten Antwortbriefes; doch anhand dessen, was Vrej in seinem nächsten Brief schrieb, fällt es leicht, den Schluss zu ziehen, dass ältere und klügere Köpfe in Paris sich durchgesetzt hatten. Jack Shaftoe wurde als eine Art Wahnsinniger betrachtet, ein mit Besessenheit geschlagenes Opfer,
für seine Handlungen nicht verantwortlich (obgleich Vrej dies in Frage stellte und argwöhnte, es sei alles nur gespielt), und man sah für die Familie keinerlei Vorteil, weder weltlich noch geistlich, darin, den armen Mann zu töten. Man schlug vielmehr vor,Vrej solle sich in seinem Umgang mit dem Juden irgendeinen Vorteil zu verschaffen suchen.
    Ihr werdet gewiss schon geahnt haben, Madame, dass dieser Jude, dieser Armenier, Jack sowie mehrere andere Galeerensklaven sich zu dem Piratencorps mauserten, das seither so viel Ärger gemacht hat.
    Dies alles war mir und Pater Édouard de Gex bis Ende des Jahres unseres Herrn 1690 bekannt geworden. Wie Ihr wisst, nahm de Gex den denkbar lebhaftesten Anteil an der Sache. Er begann alchimistische Bücher nach Informationen über die zinnoberrote Tinte zu durchstöbern: woraus sie sich zusammensetzte und welcher Dampf oder welcher Aufguss erforderlich war, um die verborgenen Buchstaben auf der Seite sichtbar zu machen. Unter tätiger Mihilfe seiner Cousine, der Duchesse d’Oyonnax, sorgte er dafür, dass die Esphahnians unter den Kaffeeliebhabern bei Hofe gut einschlugen, mit dem Ergebnis, dass sie nach Versailles ziehen und das Kaffeehaus in der Rue de l’Orangerie bauen konnten, wo Ihr und ich so viele anregende Stunden verbracht haben. Das zeitigte die von de Gex gewünschte Folge: Sämtliche Esphahnians

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