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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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einfach umblickt und zu überlegen versucht, was Spinnen, Monde, Augäpfel erklären kann. Welche Gesetze sollen in einem derart riesigen Netz von Abhängigkeiten regeln, wie sich eine bestimmte Monade gegenüber allen anderen Monaden im Universum verhält? Und ich meine alle; denn die Monaden, aus denen Ihr und ich bestehen, Eure Hoheit, spüren die Schwerkraft der Sonne, des Jupiter, des Titan und der fernen Sterne, und das heißt, sie nehmen jede einzelne der Myriaden von Monaden, aus welchen diese ungeheuren Körper bestehen, wahr und reagieren auf sie. Wie können sie den Überblick über das alles behalten und entscheiden, was sie tun müssen? Ich behaupte, dass jede Theorie, die auf der Annahme basiert, Titan speie Atome aus, die durch den Raum sausen und gegen meine Atome prallen, sehr zweifelhaft ist. Fest steht, dass meine Monaden Titan, Jupiter, die Sonne, Dr. Waterhouse, die Pferde, die uns nach Berlin ziehen, den Stall dort und alles andere in gewissem Sinne wahrnehmen .«
    » Was heißt ›wahrnehmen‹? Haben Monaden Augen?«
    »Es muss erheblich einfacher sein. Es ist eine logische Notwendigkeit. Eine Monade in meinem Fingernagel spürt die Schwerkraft des Titan, nicht wahr?«
    »Ich glaube, das diktiert das Gesetz der Schwerkraft.«
    »Ich erachte das als Wahrnehmung, als Perzeption. Monaden perzipieren. Wenn wir uns viel näher an den Saturn verfügen und in den Einflussbereich seines Mondes Titan gelangen könnten, würde mein Fingernagel zusammen mit dem Rest von mir auf ihn stürzen – und das ist eine Art gemeinsames Handeln meiner Monaden als Reaktion auf ihre Perzeption des Titan. Also, Eure Hoheit: Was wissen wir bis dahin von Monaden?«

    »Unendlich klein.«
    »Richtig.«
    »Das ganze Universum aus ihren Interaktionen heraus erklärbar.«
    »Wieder richtig.«
    »Sie nehmen alle anderen Monaden im Universum wahr.«
    »Abermals richtig. Und...?«
    »Und sie agieren.«
    »Sie agieren aufgrund wovon?«
    »Aufgrund dessen, was sie wahrnehmen, Dr. Leibniz.«
    »Viermal richtig! Die Höchstnote. Was nun muss von Monaden gelten, damit das alles möglich ist?«
    »Irgendwie fließen alle diese Wahrnehmungen in die Monade, und sie entscheidet dann gleichsam, wie sie handelt.«
    »Das folgt unvermeidlich aus allem Vorangegangenen, nicht wahr? Zusammenfassend scheint es also so, dass Monaden wahrnehmen, denken und agieren. Und genau da kommt die Vorstellung her, dass eine Monade eine kleine Seele sei. Denn Wahrnehmung, Denken und Handeln, sind Seelenattribute im Gegensatz zu Billardkugelattributen. Heißt das, Monaden haben im gleichen Sinne Seelen wie Ihr und ich? Das bezweifle ich.«
    »Welche Art von Seele haben sie denn dann, Doktor?«
    »Nun, das wollen wir so beantworten, dass wir eine Bestandsaufnahme dessen vornehmen, was sie nach unserer Kenntnis tun. Sie nehmen alle anderen Monaden wahr, dann denken sie, damit sie handeln können. Das Denken ist ein innerer Vorgang jeder Monade – es wird nicht von einem außer ihr liegenden Gehirn beigesteuert. Die Monade muss also ihr eigenes Gehirn haben. Damit meine ich keine große, schwammartige Gewebemasse wie das Gehirn Eurer Hoheit, sondern vielmehr eine Fähigkeit, die ihren inneren Zustand ändern kann, je nach dem, in welchem Zustand sich der Rest des Universums befindet – welchen die Monade irgendwie wahrgenommen und innerlich gespeichert hat.«
    »Aber würde der Zustand des Universums nicht eine unendliche Anzahl von Büchern füllen!? Wie kann jede Monade so viel Wissen speichern?«
    »Sie tut es, weil sie muss«, sagte der Doktor. »Denkt nicht an Bücher. Denkt an eine verspiegelte Kugel, die ein komplettes Bild des Universums enthält und dennoch sehr einfach ist. Das ›Gehirn‹ der Monade ist also ein Mechanismus, mittels dessen aufgrund des gespeicherten
Zustandes des übrigen Universums irgendeine Handlungsregel ausgeführt wird. Sehr grob könntet Ihr es Euch wie eines jener Bücher vorstellen, über welchen Hasardspieler ständig brüten: sagen wir, ›Monsieur Belforts Unfehlbares System, wie man beim Bassett gewinnt‹. Wenn man das Buch aller Wortemacherei entkleidet, besteht es im Wesentlichen aus einer Regel – einer komplizierten -, die bestimmt, wie eine Spielerin angesichts einer bestimmten Anordnung von Karten und gesetzten Beträgen auf dem Bassett-Tisch handeln soll. Eine Spielerin, die sich nach einem solchen Buch richtet, denkt eigentlich nicht im höheren Sinne. Sie nimmt vielmehr den Zustand des Spiels – die

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