Confusion
verwaisten Prinzessin nicht gerade leichter, aber das hätte ohnehin nichts vermocht, und ein ausgedehnter Abschied hätte es ihr vielleicht noch schwerer gemacht. Sie entschied sich dafür, Leibniz’ kaffeebraune, mit Blumen bemalte Kutsche mit diesem und Daniel zu teilen. In ihrem Gesicht wechselten sich Tränen und Lächeln ab wie Regenschauer und Sonnenstrahlen an einem windigen Märztag. Sie war dreizehn.
Der Tross überquerte die Elbe auf einer nahe gelegenen Fähre und donnerte einige Stunden lang die Straße hinab, bis man Brandenburg erreichte, wo man in einem Gasthaus an der Straße von Meißen nach Berlin für die Nacht Halt machte. Am nächsten Tag brach man spät auf. Etwa fünfzig Meilen trennten die Reisenden noch von Schloss Charlottenburg und seiner Namensgeberin, der Kurfürstin Sophie Charlotte. »Ich stehe ganz zu Eurer Verfügung, Eure Hoheit«, sagte Leibniz. »Der Weg ist lang, und ich werde es als hohe Ehre betrachten, Euch in jeder möglichen Weise zu helfen, die ihn Euch kürzer erscheinen lässt. Wir können Eure Mathematiklektionen weiterführen, die während der Krankheit Eurer verstorbenen Mutter vernachlässigt worden sind. Wir können uns über Theologie unterhalten, ein Thema, dem Ihr Euch unbedingt widmen solltet; denn am Hofe von Brandenburg-Preußen
werdet Ihr nicht nur Lutheranern, sondern auch Calvinisten, Jesuiten, Jansenisten, ja sogar Orthodoxen begegnen, und Ihr werdet Eure fünf Sinne beisammenhalten müssen, damit nicht irgendein glattzüngiger Eiferer Euch irreleitet. Ich habe eine Blockflöte und könnte versuchen, Euch eine Musikstunde zu geben. Oder...«
»Ich würde gern mehr von dem Werk hören, das Dr. Waterhouse in Mas-sa-chu-setts zu unternehmen gedenkt«, sagte die Prinzessin mit Bedacht. Sie hatte aufgrund von tags zuvor aufgeschnappten Bemerkungen Wind davon bekommen.
»Ein passendes Thema, letztlich aber auch ein ziemlich umfassendes«, sagte Leibniz. »Dr. Waterhouse?«
»Das Massachusetts Bay Colony Institut der Technologischen Wissenschaften wurde vom Marquis von Ravenscar gegründet, der es früher oder später auch mit finanziellen Mitteln ausstatten wird. Der Marquis kümmert sich um das Geld Seiner Majestät und ist ein bedeutender Whig. Das heißt, er gehört einer politischen Gruppierung an, deren Bank und deren Geld auf dem Handel gründet. Sie steht in strikter Opposition zu den Torys, deren Bank und Geld auf Land gründet.«
»Land scheint die sehr viel bessere Wahl zu sein, da es fest und stabil ist.«
»Stabilität ist nicht immer vorteilhaft. Denkt an Blei und Quecksilber. Blei gibt guten Ballast, gute Dächer und Röhren, ist aber ziemlich träge, während Quecksilber die wunderbaren Eigenschaften der Geschwindigkeit, Flexibilität, Flüssigkeit besitzt...«
»Seid Ihr ein Alchimist?«, wollte Caroline wissen.
Daniel errötete. »Nein, Eure Hoheit. Aber ich würde die Behauptung wagen, dass Alchimisten in Metaphern denken, die zuweilen lehrreich sind.« Er wechselte einen verstohlenen Blick mit Leibniz und lächelte. »Vielleicht werden wir aber auch alle mit derartigen, in unserem Verstand verankerten Denkgewohnheiten geboren, und die Alchimisten haben nur einfach den Fehler gemacht, sie zu überschätzen.«
»Mr. Locke wäre da anderer Meinung«, sagte Caroline. »Er sagt, wir beginnen als tabula rasa ...«
»Es überrascht Euch vielleicht zu erfahren, dass ich Mr. Locke gut kenne«, sagte Daniel, »und dass er und ich über diese Frage gestritten haben.«
»Was macht er denn so in letzter Zeit?«, fragte Leibniz, außerstande,
sich zurückzuhalten. »Ich habe an einer Erwiderung auf seinen Versuch über den menschlichen Verstand gearbeitet...«
»Mr. Locke hat letzthin viel Zeit in London verbracht und über die Neuprägung debattiert; denn während Newton das Pfund Sterling abwerten möchte, ist Locke der festen Überzeugung, dass an dem von Sir Thomas Gresham festgelegten Standard nicht gerührt werden darf.«
»Warum verbringen Englands größte Gelehrte so viel Zeit damit, über Münzen zu streiten?«, fragte Caroline.
Daniel überlegte. »In der alten Welt, der Tory-Welt, in der Münzen nichts als ein Mittel waren, Pachten vom Land nach London zu schaffen, hätten sie dem Thema nie so viel Beachtung geschenkt. Aber Antwerpen hat darauf hingedeutet, Amsterdam hat bestätigt und London hat nun bewiesen, dass im Handel mindestens so viel Reichtum steckt wie in Land; und immer noch wird kein Mensch so recht schlau daraus. Aber
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