Confusion
Grollen dieser Mahlsteine hören, Tausende von Backenzähnen aus Granit, die den Mais und Kakao dieses Landes kauten. Was man irrtümlicherweise auch für den tiefsten Grundton hätte halten können, die Generalbasslinie dieser
nicht enden wollenden Messe namens La Ciudad de México. Allerdings gab es da noch einen anderen, durchdringenderen Ton. Jack hörte ihn eine Zeitlang gar nicht, oder wenn er ihn hörte, löste er ihn nicht aus den anderen Geräuschen der Stadt heraus. Nachdem er aber eine Weile dort gelegen hatte, schlief er halb ein und hatte eine seltsame Vision, die, wenn er Papist gewesen wäre, vermutlich als Wunder gegolten und ihn zu einem Heiligen gemacht hätte. In dieser Vision war sein Körper ein Lichtkörper, der sich erhob und dabei größer wurde, so wie Blasen, die aus einer schwarzen Tiefe auftauchen, der aber mit Riemen aus Dunkelheit gefesselt war, ungefähr so wie das Licht einer Laterne, das durch die es umgebenden Eisenbänder im Folterkäfig zu sitzen scheint. Jedenfalls sorgte irgendetwas an seinem sonnenvergifteten Geisteszustand und die allgemeine, der Trunkenheit ähnliche Betäubung nach einer Foltersitzung dafür, dass das Brokatmuster aus Geräuschen sich in mehrere Fäden, Garne, Schussgarne und Kettfäden auflöste. Und auf diese Weise bemerkte Jack den Klang der Münze.
Jahre zuvor hatte er im Erzgebirge einem Münzer beim Prägen von Talern zugeschaut, und deshalb wusste er, dass sich vermutlich hinter all den Zeremonien und Ämtern dieser Münzstätte nicht mehr verbarg, als ein paar Männer mit Hämmern, die Stück um Stück Münzen schlugen. Um sechzehntausend Pesos am Tag zu machen, mussten sie mehrere Münzer haben, die gleichzeitig jeder mit seinem eigenen Hammer und Prägestempel arbeiteten. Jeder Hammerschlag bedeutete, dass wieder ein Pesostück mit dem heiligen Konterfei des Königs von Spanien versehen und dann in die Welt hinausgeschickt wurde. Manchmal ließen mehrere Münzer ihre Hämmer in rascher Folge niedersausen, so dass Jack einen ununterbrochenen Hagel von Klängen hörte, dann wieder gab es ungewöhnliche Pausen, in denen er sich vorstellte, das ganze spanische Reich hielte aus Furcht, das Silber sei ausgegangen, den Atem an. Die meiste Zeit arbeiteten die Münzer jedoch in einem gemeinsamen Rhythmus, bei dem alle nacheinander an der Reihe waren und das Klingen der Hämmer regelmäßig kam, ungefähr mit der Frequenz von Jacks Herzschlag. Er legte sich die Hand aufs Herz, um es nachzuprüfen. Manchmal pochte sein Herz über mehrere Schläge hinweg in perfektem Einklang mit den Hämmern der Münzer, und Jack fragte sich, ob das für Menschen, die in dieser Stadt geboren und aufgewachsen waren, noch eher zutraf.
Ebenso wie der Herzschlag war der Klang von Pesostücken, die gerade
geboren wurden, normalerweise nicht zu hören, aber wenn man ganz still saß, konnte man spüren, wie er die Straßen von La Ciudad de México durchfloss wie Blut den Körper; und Jack wusste bereits, dass man diesen Puls in bestimmten, weit entfernten Städten wie London, Amsterdam und Shahjahanabad wahrnehmen konnte, genau wie den eines Menschen an einer bestimmten Stelle am Handgelenk, weit vom schlagenden Herzen entfernt.
Mit Spaniern hatte Jack nie viel anfangen können, waren sie für ihn doch immer so etwas wie völlig auf Abwege geratene Engländer gewesen, zu Essig gewordener Wein, ziemlich vielversprechende Leute, die durch ihre zwischen la France und dar al-Islam eingeklemmte Lage vollkommen verrückt geworden waren. Wie Jack jedoch nun in den Klauen der Inquisition dalag und dem Knirschen der Tortillasteine und dem Hämmern der Münzer lauschte, musste er zugeben, dass sie auf ihre Weise ebenso gewaltig und seltsam waren wie die Ägypter.
Jack hätte von sich selbst nie behauptet, ein kluger Kopf zu sein, aber auf seine Schlauheit hielt er sich etwas zugute. Klugheit oder Schlauheit oder beide rieten ihm, de Aths irres Gerede über die Aufklärung besser zu ignorieren und seine Aufmerksamkeit auf nähere und praktischere Dinge zu richten. Die Kryptojuden, die in den Zellen dieses Gefängnisses saßen, waren ein merkwürdiger Haufen, aber sie wussten ziemlich viel über die Arbeitsweise der mexikanischen Inquisition – kein Wunder. In den meisten Inquisitionsgefängnissen war es Vorschrift, dass jeder Gefangene, notfalls über Jahre hinweg, in Einzelhaft gehalten wurde, in der Hoffnung, dass er oder sie schließlich zusammenbrechen und irgendeine Häresie gestehen
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