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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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sorgfältig auf der Reling ab und ließ sein Entermesser ein paar Zoll oberhalb des Handgelenks darauf heruntersausen. Die Klinge blieb in den Knochen stecken, und er musste sie herauszerren und noch mehrmals zustechen. Schließlich fiel die – infolge verschiedener Zwischenfälle bereits gestutzte und verstümmelte – Hand platschend ins Wasser. Van Hoek legte sich aufs Deck und wurde ganz weiß. Wahrscheinlich wäre er gestorben, hätte er sich nicht an Bord eines Schiffes befunden, auf dem Amputationen Routineangelegenheiten waren. So hatten die Matrosen wenigstens etwas zu tun, während die französischen Pinassen von allen Seiten auf sie zukamen.

    Irgendwann bekam Dappa einen zerstreuten Gesichtsausdruck, verließ unter Entschuldigungen die Gruppe um van Hoek und ging forschen Schrittes auf Vrej Esphahnian zu.
    Vrej zog eine von mehreren Pistolen aus seinem Gürtel und richtete sie auf Dappa. Eine schwirrende Klinge flog, einem stählernen Kolibri gleich, in seinen Arm und machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Es war ein Jagd-Jojo und von einem philippinischen Besatzungsmitglied geschleudert worden, das seitlich neben Vrej stand.
    Der Armenier ließ die Waffe fallen und schwang sich über Bord. Er trug einen scharlachroten Umhang, der sich, während er fiel, wie ein Segel aufblähte und unten auf dem Wasser eine Blase bildete, eine Insel aus Satin, die ihn über Wasser hielt, bis ein Franzose ihm von einer Pinasse aus ein Seil zuwarf.
    »Gib das Kommando, Dad«, sagte Jimmy, der neben einem geladenen Drehgeschütz stand und eine brennende Fackel über dessen Zündloch hielt.
    »Ich bin es, den sie wollen«, sagte Jack nüchtern, als würde er jeden Tag von der französischen Kriegsmarine gefangen genommen.
    »Und uns haben sie«, antwortet Danny scharf, während er ein anderes Drehgeschütz auf eine andere Pinasse richtete, »und wir werden dafür sorgen, dass sie sich bald wünschen, es wäre nicht so.«
    Jack schüttelte den Kopf. »Das hier wird kein zweites Kairo werden.«
     
    Schloss Qwghlm war eine mittelalterliche Zitadelle, die ganz offensichtlich ihren ursprünglichen Zweck verfehlt hatte. Im Grunde war sie noch nicht einmal dazu angetan, Schneeregen und Ratten draußen zu halten. An ihrer Leeseite, wo sie sich an den blanken Fels des Sghr klammerte, hatte sie aber zumindest den Kampf gegen die Schwerkraft aufgenommen. Hier trug sie eine Reihe kahler Zinnen, mit denen sie durch die verworrenen Winde über der knirschenden Wildnis aus Felsbrocken und Guano fuhr, die den Rest des Schlosses ausmachte.
    Ein solches Ding mit einem neuen Dach zu versehen, war Geldverschwendung; aber ein komplettes, vollkommen neues Barockschloss darin einzubetten, wie der Duc d’Arcachon es kürzlich getan hatte, kam einer weithin schallenden Erklärung gleich. In der visuellen Sprache der Architekten und Innenausstatter sagte diese Erklärung etwas darüber, welche glorreichen Prinzipien all seine vom Himmel herabstoßenden, prachtvoll gekleideten, bekränzten und geflügelten Halbgötter
verkörperten. In Sprache übersetzt besagte sie: »Ich bin reich und mächtig, und ihr seid es nicht.«
    Jack hatte die Botschaft verstanden. Sie stellten ihn in einem großen Schlafzimmer mit einem hohen Barockfenster, durch das der Herzog und die Herzogin vermutlich das Ein- und Auslaufen von Schiffen im Hafen beobachten konnten, unter Hausarrest. Die rückwärtige, dem Fenster gegenüberliegende Wand des Zimmers bestand hauptsächlich aus Spiegeln – was, wie sogar Jack wusste, eine Hommage an die Galerie des Glaces in Versailles darstellte.
    Jack lag mehrere Tage im Bett, ohne dass er sich dazu überwinden konnte, in irgendeinen Spiegel zu schauen oder ans Fenster zu treten und die auf dem Holländer-Hammer festsitzende Minerva zu sehen. Manchmal stand er auf, umschlang die Kanonenkugel, die mit einer vier Fuß langen Kette an seinem Halseisen befestigt war, und trug sie in die angrenzende Garderobe: einen Schrank mit einer hölzernen Bank, die mit einem Loch verziert war. Unter größtem Bemühen, die Kanonenkugel nicht in dieses Loch fallen zu lassen – er war nämlich noch nicht ganz entschlossen, sich umzubringen -, setzte er sich hin und entleerte sich in einen Schacht, der sich auf das Felskliff weit unter ihm öffnete.
    Jahre zuvor – als ihm das letzte Mal von einem d’Arcachon ein Eisen um den Hals gelegt worden war – hatte John Churchill ihn gewarnt, dass früher oder später ganz bestimmt wütende Franzosen

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