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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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blanke Holz ausgeräumt worden waren, warteten die Männer an Bord auf die Flut und begannen, Ballaststeine über Bord zu werfen, um von dem Riff loszukommen. Jack beobachtete diese Operation von einer Brustwehr des Schlosses aus, zu der er manchmal unter Bewachung seine Kanonenkugel tragen durfte. Nach einer Weile gesellte sich de Gex zu ihm und begrüßte ihn mit der Bemerkung: »Ich erinnere Euch daran, Jack, dass Selbstmord eine Todsünde ist.«
    Jack war über diese unlogische Schlussfolgerung verwirrt, bis er de Gex’ Blick über die moosbewachsenen Zinnen und den einhundert Fuß tiefen, blanken Fels bis hinunter auf die eiskalte Brandung folgte, die an die Klippen schlug. Dann lachte er. »Ich rechne damit, dass irgendein d’Arcachon hier heraufkommt und mich eines langsamen Todes sterben lässt – glaubt Ihr wirklich, ich würde ihm die Tat abnehmen und ihn um eine so vergnügliche Reise bringen?«
    »Vielleicht möchtet Ihr die Folter ja auch gerne vermeiden.«
    »Oh nein, Édouard, Euer Beispiel hat mich inspiriert.«
    »Sprecht Ihr von der Inquisition in Mexiko?«
    »Ich habe mich gefragt, ob der Inquisitor wohl wusste, dass Ihr ein Jesuitenkollege seid. Ist er glimpflich mit Euch umgegangen?«
    »Wenn er mich milde behandelt hätte, hättet Ihr und Moseh es entdeckt – und euch nicht dazu entschlossen, mir zu trauen. Nein, ich habe den Inquisitor genauso zum Narren gehalten wie Euch.«
    »Das ist das Merkwürdigste, was ich auf meiner ganzen Reise um die Welt gehört habe.«
    »Wenn man die Zusammenhänge kennt«, sagte de Gex, »ist es gar
nicht so sonderbar. Entgegen Eurer Vermutung betrachte ich mich nämlich nicht als eine Art Heiligen. Ja, ich habe sogar so dunkle Geheimnisse, dass ich sie selbst nicht kenne! Ich stellte mir vor, der Inquisitor würde mir vielleicht durch die Folter entlocken, was ich durch Gebet und fromme Betrachtung nicht zu entdecken vermochte.«
    »Das ist ja noch merkwürdiger. Da ist mir doch die erste Version lieber.«
    »In Wirklichkeit war es nicht so schlimm, wie die Juden immer behaupten. Es gibt unzählige Möglichkeiten, es noch weitaus schmerzhafter zu machen. Wenn das Heilige Offizium wieder in London etabliert ist, werde ich einige Verbesserungen einführen – wir werden innerhalb kurzer Zeit jede Menge Häretiker zu verfolgen haben, und dazu wird dieser halbherzige mexikanische Stil einfach nicht ausreichen.«
    »Ich hatte nicht an Selbstmord gedacht, als ich hier heraufkam«, murmelte Jack, »aber Ihr bringt mich schnell dahin.« Er steckte den Kopf durch eine Öffnung zwischen zwei Zinnen und lehnte sich über die Brüstung, um zu sehen, wie die letzten paar Sekunden seines Lebens aussehen würden. »Bedauerlich, dass die Flut so ungewöhnlich hoch ist – ich würde im Wasser statt auf den Felsen aufschlagen.«
    »Bedauerlich, dass wir unter Eid verpflichtet sind, Euch in einem Stück abzuliefern«, sagte de Gex und blickte Jack fast liebevoll an. »Ich würde so gerne das, was ich in La Ciudad de México gelernt habe, hier und jetzt an Euch anwenden und einen vollständigen Bericht darüber erhalten, was Ihr mit König Salomons Gold gemacht habt.«
    »Ach, das ist alles, was Ihr wissen wollt? Wir haben es, abgesehen von ein paar unbedeutenden Ausgaben in Mocha und Bandar, nach Surat gebracht, und da hat Königin Kottakkal es uns abgenommen. Wenn es genau dieses Gold ist, das Ihr haben wollt, müsst Ihr Euch nach Malabar begeben!«
    Édouard de Gex erhob den Zeigefinger. »Ich weiß von Monsieur Esphahnian, dass die Geschichte in Wirklichkeit viel komplizierter ist. Er hat Jahre im nördlichen Hindustan verbracht, wo er gegen irgendeine Armee von Ungläubigen kämpfte...«
    »Nur weil er den Intelligenztest nicht bestanden hatte.«
    »...und als er schließlich nach Malabar kam, hatte der Jude genügend Zeit gehabt, sich das Vertrauen dieser heidnischen Königin zu erschleichen. Ein wesentlicher Teil dieses Goldes war bereits in das Schiffsbauprojekt geflossen. Was ist daraus geworden?«

    »Ihr habt doch selbst gesagt, dass es in das Schiffsbauprojekt geflossen ist!«
    Jetzt wandte Jack sich instinktiv dem Schiff zu, um das es ging. Es war in ungefähr zwei Seemeilen Entfernung aufgelaufen, aber von diesem Turm aus durch die klare arktische Luft betrachtet, erschien es ihm viel näher. In diesem Moment lag es ungewöhnlich hoch, was nicht weiter verwunderte, denn die letzte halbe Stunde lang war sein Rumpf in aufspritzendem Schaum verschwunden, der dadurch

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