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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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noch nicht sitzen! Ich spreche von Ärzten.«
    » Es stimmt, dass Barbiere eher auf das andere Ende der Anatomie spezialisiert sind, als auf dasjenige, das mich betrifft«, sagte der Mann auf dem erhöhten Sitz. »Die Natur jedoch bietet ihre eigenen Heilmittel. Ich habe mir Schnee in die Hosen gestopft. Das war zuerst unangenehm, unerträglich.« Nun musste er einige Momente warten.
    »Ihr lacht«, fuhr er fort, »aber, Mademoiselle, Ihr wisst nicht zu würdigen, welche Erleichterung mir das verschafft. Denn es lindert nicht nur die Schmerzen und die Schwellung achtern, sondern ein ganz ähnliches, aber nicht so unangenehmes Symptom vorn, über das jeder Mann klagen würde, der sich in Eurer Gesellschaft auf eine längere Reise begibt...«
    Zwei der Frauen lachten erneut, die dritte aber wollte davon nichts wissen und antwortete ihm mit fester Stimme: »Für diejenigen von uns, die sitzen können, ist die Reise nicht so lang. Unser Ziel ist ein Ort, wo man Witz zu schätzen weiß, solange er taktvoll und kultiviert ist und bei Madame de Maintenon und ihresgleichen keinen Anstoß erregt. Eure Seemannsscherze jedoch werden als ungeheure faux pas empfunden werden und dem Zweck Eurer Reise dorthin komplett zuwiderlaufen.«
    »Worin besteht denn dieser Zweck, Mademoiselle? Ihr habt mich
gerufen, und ich bin pflichtschuldig erschienen. Ich dachte, meine Aufgabe bestehe darin, meinen Patensohn zu unterhalten. Aber ich sehe wohl, dass Ihr meine Methoden missbilligt. In ein paar Jahren, wenn Jean-Jacques sprechen lernt, wird er, da bin ich sicher, in dieser Frage für mich Partei ergreifen und verlangen, in die Luft geschleudert zu werden. Bis dahin werde ich ohne Sinn und Zweck in Eurem Kielwasser mitgeschleppt.« Er schaute neugierig aufs Meer hinaus; doch der Tross hatte sich landeinwärts gewandt, und das Objekt seiner Begierde entschwand rasch in der weißen Ferne. Er saß hoffnungslos auf dem Trockenen.
    »Ihr regt Euch ständig wegen Eurer Schiffe auf, Leutnant Bart, wünscht, Ihr hättet mehr oder diejenigen, die Ihr habt, wären größer oder in besserem Zustand...«
    »Umso mehr Grund für mich, Mademoiselle, von diesem unnatürlichen Beförderungsmittel abzuspringen und mich umgehend nach Dünkirchen zu begeben!«
    »Um was zu tun? Mit eigenen Händen ein Schiff aus Schnee bauen? Jean Bart wird nicht in Dünkirchen gebraucht, sondern in Versailles.«
    »Was soll ich dort, Mademoiselle? Ein Ruderboot über den Spiegelteich des Königs lotsen?«
    »Ihr wollt finanzielle Mittel. Ihr konkurriert mit vielen anderen darum. Euer gewaltigster Konkurrent ist das Heer. Wisst Ihr, warum das Heer sämtliche finanziellen Mittel bekommt, Leutnant Bart?«
    »Ist das so? Es schockiert mich, das zu hören.«
    »Das liegt daran, dass Ihr das Heer nie zu Gesicht bekommt; wenn Ihr das tätet, wärt Ihr empört darüber, wie viel Geld es im Vergleich zur Marine erhält und wie viele von den besten Leuten. Nehmen wir zum Beispiel Étienne de Lavardac.«
    »Den Sohn des Duc d’Arcachon?«
    »Stellt Euch nicht unwissend, Leutnant Bart. Ihr wisst, wer er ist und dass er mich geschwängert hat. Könnt Ihr Euch einen jungen Adeligen mit stärkeren Verbindungen zur Marine vorstellen? Doch was tat er, als der Krieg ausbrach?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Er stellte ein Kavallerieregiment auf und zog zu Pferde in den Krieg am Rhein.«
    »Undankbarer Lümmel! Ich werde ihn mir mit der flachen Klinge meines Entermessers vornehmen.«
    »Ja, und wenn Ihr damit fertig seid, könnt Ihr nach Rom fahren und
dem Papst mit einem Stock ins Auge stechen!«, schlug die kleinere der beiden Helferinnen der Gräfin vor.
    »Ein glänzender Gedanke, Nicole – das werde ich für dich tun!«, gab Bart zurück.
    »Wisst Ihr, warum Étienne eine solche Entscheidung getroffen hat?«, fragte die Dame wenig erbaut.
    »Ich weiß nur, dass irgendwer ihm mehr Manieren beibringen muss.«
    »Das ist genau falsch – jemand muss ihm weniger beibringen. Denn er gilt allgemein als der höflichste Mann in Frankreich.«
    »Zumindest einmal muss er seine Manieren vergessen haben«, sagte Jean Bart, drückte das Gesicht an das Gitter und lugte nach dem kleinen Jean-Jacques, der das Gesicht an der linken Brust seiner Mutter vergraben hatte.
    »Nein, denn selbst als er mich schwängerte, tat er es auf ungemein höfliche Weise«, sagte die Mutter. »Eben wegen dieses Gefühls für Ehre und Anstand ziehen er und alle anderen jungen Höflinge das Heer der Marine

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