Confusion
nicht wahr?«
»Richtig. Also griffen wir auf englische oder schwedische Schiffe zurück.«
»Ich vermute, das funktionierte zufriedenstellend, bis le Roi vor vier Jahren die meisten Hugenotten vertrieb und den Rest versklavte?«
»In der Tat. Seither bin ich furchtbar beschäftigt, denn ich versuche alles zu erledigen, was vordem ein Kontor voller Hugenotten erledigt hat. Ich habe es geschafft, einen dünnen Strom von Holz aus dem Baltikum aufrechtzuerhalten – genug, um die alten Schiffe zu reparieren und gelegentlich ein neues zu bauen.«
»Doch nun befinden wir uns im Krieg mit den beiden größten Seemächten der Welt«, sagte Eliza. »Die Nachfrage nach Schiffsbauholz wird ungeheuer ansteigen. Und wie die de la Vegas und ich soeben nachgewiesen haben, ist aus Frankreich keines zu bekommen. Ihr wollt also, dass ich Euch helfe, die Compagnie du Nord hier in Dünkirchen neu zu gründen.«
»Es wäre mir eine Ehre.«
»Ich bin einverstanden«, verkündete sie, »aber zuerst müsst Ihr mir eine Frage beantworten.«
»Stellt sie nur, Mademoiselle.«
»Wie lange denkt Ihr schon darüber nach? Und habt Ihr mit Eurem Halbbruder darüber gesprochen?«
Mit einem für einen Sechsmonatigen geradezu unheimlichen Zeitgefühl begann Jean-Jacques im Nebenzimmer zu schreien. D’Ozoir überlegte. »Mein Halbbruder Étienne will Euch aus einem anderen Grund haben.«
»Ich weiß – weil ich gesunde Kinder gebären kann.«
»Nein, Mademoiselle. Wenn Ihr das glaubt, seid Ihr eine Närrin. Es gibt viele hübsche junge adelige Frauen, die das auch können, und die meisten sind nicht so schwierig wie Ihr.«
»Aus welchem Grund sollte er mich sonst haben wollen?«
»Abgesehen von Eurer Schönheit? Die Antwort lautet Colbert.«
»Colbert ist tot.«
»Aber sein Sohn lebt: Monsieur le Marquis de Seignelay. Marineminister wie sein Vater vor ihm und Vorgesetzter meines Vaters. Habt Ihr die leiseste Ahnung, wie es für jemanden wie meinen Vater ist – einen Erbherzog aus alter Linie und Vetter des Königs -, mit ansehen zu müssen, wie der Sohn eines Bürgerlichen behandelt wird, als wäre er ein Pair des Reiches? Einem Mann untergeordnet zu sein, dessen Vater Kaufmann war?«
»Das muss schwierig sein«, sagte Eliza ohne viel Mitgefühl.
»Nicht so schwierig für den Duc d’Arcachon wie für manch anderen – denn mein Vater ist nicht so arrogant wie manche. Mein Vater ist unterwürfig, lenksam, anpassungsfähig...«
»Und in diesem Fall«, sagte Eliza, den Gedanken vollendend – denn der Marquis lief Gefahr, die Beherrschung zu verlieren -, »gedenkt er sich dergestalt anzupassen, dass er Étienne mit einer Frau verheiratet, die ihn am stärksten an Colbert erinnert.«
»Eine von bürgerlicher Herkunft, die mit Geld umgehen kann und vom König respektiert wird«, sagte der Marquis. »Und wenn sie außerdem noch schön ist und gesunde Kinder bekommt, umso besser. Vielleicht glaubt Ihr, Ihr wärt bei Hofe in Versailles so etwas wie eine Außenseiterin, Ihr gehörtet überhaupt nicht dorthin. In Wahrheit ist es jedoch so: Versailles gibt es erst seit sieben Jahren. Es hat keine altehrwürdigen Traditionen. Es wurde von Colbert, dem Bürgerlichen,
geschaffen. Es ist zwar voller Adeliger, aber Ihr macht Euch etwas vor, wenn Ihr glaubt, dass sie sich dort wohlfühlen – so fühlen, als gehörten sie dorthin. Nein, Ihr, Mademoiselle, seid die perfekte Hofdame von Versailles, Ihr, die Ihr der Neid der anderen sein werdet, sobald Ihr Euch dort etabliert. Mein Vater spürt, dass es mit ihm bergab geht, er sieht, dass seine Familie ihren Reichtum, ihren Einfluss einbüßt. Er wirft eine Rettungsleine aus und hofft, dass jemand auf höherem und festerem Grund sie packen und ihn heraufziehen wird – und dieser Jemand seid Ihr, Mademoiselle.«
»Das ist eine schwere Verantwortung für eine Frau, die kein Geld hat und damit beschäftigt ist, ein Kind großzuziehen«, sagte Eliza. »Ich hoffe, Euer Vater ist nicht wirklich so verzweifelt, wie Ihr ihn hinstellt.«
»Er ist es noch nicht. Aber wenn er nachts wach liegt, heckt er Pläne für den Fall aus, dass er oder seine Nachkommen in der Zukunft verzweifelt sein könnten.«
»Wenn das, was Ihr sagt, glaubwürdig ist, habe ich viel zu tun«, sagte Eliza, wandte sich vom Fenster ab und strich sich mit den Händen ihr Kleid glatt.
»Was werdet Ihr als Erstes tun, Mademoiselle?«
»Ich denke, ich werde einen Brief nach England schreiben, Monsieur.«
»Nach England! Aber wir
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