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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Mann ein paar Momente lang zum Schweigen. Die Stallungen von Versailles waren im Dezember nicht gerade für ihre Beleuchtung berühmt; aber Eliza konnte die von dem Mann getragene Atlasseide zischeln und das von ihm getragene Leinen knarren hören, als er sich verbeugte. Sie produzierte ihrerseits Knicksgeräusche. Auf diese folgte ein kurzes Kratzen und Scheuern, als ihr Gegenüber seine Perücke zurechtschob. Sie räusperte sich. Er rief nach einer Kerze und bekam einen ganzen Silberkandelaber: eine Winkelformation von Flämmchen, die wie ein Schwarm Glühwürmchen durch das vorherrschende Miasma aus Pferdeatem, Faulgas und Perückenpuder hüpften und flackerten.
    »Ich hatte die Ehre, Euch vor einem Jahr an den Ufern der Meuse vorgestellt zu werden«, sagte der Gentleman, »als Monsieur...«
    »Ich erinnere mich voller Herzlichkeit und Dankbarkeit an Eure Gastfreundschaft, Monsieur de Mayet«, sagte Eliza, was eine weitere rasche Verbeugung von seiner Seite hervorrief, »und die Bereitwilligkeit, mit der Ihr mich damals zu Monsieur de Lavardac führtet...«
    »Er wird Euch sofort empfangen, Mademoiselle!«, verkündete de Mayet, allerdings erst, als er einen zweiten Kandelaber mehrmals zwischen dem Stall, in dem sie sich befanden, und einem anderen, noch tiefer im Inneren des Gebäudes gelegenen hatte hin und her gehen sehen. »Hier entlang, bitte, um den Misthaufen herum.«
     
    »Wahrhaftig, Monsieur, an Frömmigkeit steht Ihr niemandem nach. Im Vergleich mit Euch ist selbst Pater Édouard de Gex ein Tunichtgut.
Denn jetzt, zur Weihnachtszeit, wo alle Welt die Messe besucht und Homilien über Ihn hört, der Seine ersten Tage in einem Stall verbrachte, ist Étienne Lavardac d’Arcachon der Einzige, der tatsächlich unter gleichen Verhältnissen lebt und auf einem Heuhaufen schläft.«
    »Auf Frömmigkeit kann ich keinerlei Anspruch erheben, Mademoiselle, obwohl ich zuweilen nach der geringeren Tugend der Höflichkeit strebe.«
    Man hatte ihr einen Stuhl geholt, und sie hatte ihn nur deshalb akzeptiert, weil sie wusste, dass Étienne andernfalls zu entsetzt wäre, um sprechen zu können. Er hockte auf einem niedrigen Schemel, wie ihn Hufschmiede benutzten. Der Stallboden war mit frischem Stroh bestreut – oder vielmehr so frischem, wie man es im Dezember bekommen konnte.
    »Das hat mir Madame la Duchesse d’Arcachon auch erklärt, als ich gestern Abend in La Dunette eintraf und feststellen musste, dass Ihr und Euer Haushalt dort ausgezogen wart; nicht bloß aus dem Haus, sondern aus dem ganzen Besitz.«
    » Gott sei Dank waren wir von Eurem Kommen benachrichtigt worden.«
    »Aber der Zweck meiner Nachricht war nicht, Euch in die Stallungen Seiner Majestät zu treiben.«
    »Kein Mensch ist getrieben worden, Mademoiselle. Vielmehr hat mich die Aussicht hierhergelockt, Eure Bequemlichkeit in La Dunette sicherzustellen und Euren Ruf zu wahren.«
    »So viel habe ich begriffen, Monsieur, und meine Dankbarkeit ist tief. Aber da ich in einem abseitsgelegenen Cottage wohnen werde, das vom Haupthaus aus noch nicht einmal zu sehen ist und zudem über einen eigenen Fahrweg erreicht wird, vertritt Eure Mutter die Ansicht, dass Ihr, auch während ich im Cottage wohne, zu Hause bleiben könnt, ohne dass auch der kritischste Betrachter darin etwas Unschickliches sehen könnte. Und ich teile ihre Meinung.«
    »Ja, aber, Mademoiselle...«
    »So fest vertritt Eure Mutter diese Ansicht, dass sie schwer gekränkt sein wird, wenn Ihr nicht sofort nach Hause kommt! Und ich bin hier, um diese Botschaft persönlich zu überbringen, damit Ihr keinerlei Missverständnissen unterliegen könnt, was meine Ansicht in dieser Sache angeht.«
    »Nun gut«, seufzte Étienne. »Solange klar ist, dass mich nicht das, was einige als Unbequemlichkeiten und Unzuträglichkeiten wahrnehmen,
von hier vertreibt « - an dieser Stelle hielt er einen Moment inne, um mehrere Kammerherren und andere Angehörige seines Haushaltes anzufunkeln, die das Glück hatten, von der Dunkelheit verborgen zu werden -, »sondern dass ich gleichsam fliehe, entsetzt von der Aussicht, mein Betragen könnte in den Augen meiner Mutter anders denn vollkommen sein.«
    Was von seinem Personal irgendwie als direkter Befehl aufgefasst wurde; denn plötzlich stoben Heuhaufen auseinander, als livrierte Diener, die sich wärmesuchend darin vergraben hatten, jäh aktiv wurden. Große Tore wurden geöffnet, und in gleißendem Schwall drang bläuliches Schneelicht ein und beleuchtete eine

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