Confusion
und während sie ihn las, kamen ihr allerlei Erinnerungen daran in den Sinn, welche Geschäfte sie abgeschlossen, welche Menschen sie kennen gelernt und wie viele Nächte sie keinen Schlaf gefunden hatte, während sie dieses Vermögen angehäuft hatte. Diese Erinnerungen, für die sie jetzt keine Verwendung hatte und nach denen es sie nicht verlangte, sickerten einfach durch. Milch sickerte aus ihren Brüsten, sie spürte eine Sickerblutung kommen, sie litt unter Durchfall, sie musste urinieren, und wenn sie noch weiter an derlei dachte, würden ihr Tränen aus den Augen sickern. Eigentlich, phantasierte sie flüchtig, müsste sie Jean Bart aus dem Salon holen, den er gerade mit Korsarengeschichten regalierte, und seinen Seemannsverstand mit dem eines Korsettmachers zusammentun und die beiden dazu bringen, irgendein Kleidungsstück zu erfinden, irgendein System aus Stagen, Schnürbändern, Verspannungen, Laschings und Werg, das Körper und Kopf vollständig einkapseln und sämtliche unwillkommenen Flüssigkeiten dort halten würde, wo sie hingehörten.
Aber jetzt stand es nun einmal nicht zur Verfügung. Sie spürte die Wärme der Sonne im Gesicht; vielleicht war es aber auch der Blick des contrôleur-général. »Der Betrag ist korrekt«, verkündete sie, schürzte mit ihren kalten Händen und müden Armen die Rückseite ihrer Röcke und trat zurück, bis ihr Gesicht von Schatten geschützt war.
»Schön«, sagte der Graf mit sanfter Stimme, wie ein freundlicher Arzt, und verdrehte die großen braunen Augen zu einem Adjutanten hin, der sich in den letzten paar Minuten immer näher an einen Kamin am anderen Ende des Raums herangeschoben hatte. Pontchartrain tauchte seinen Federkiel ein und führte aus dem Schultergelenk eine längere Reihe von Manövern aus. Ein mächtiges verschlungenes PONTCHARTRAIN nahm unten auf der Seite Gestalt an. Der Adjutant beugte sich vor und zeichnete gegen.
Pontchartrain erhob sich. »Ich hoffte, Ihr würdet Euch bereitfinden, eine kleine Erfrischung mit mir zu nehmen, während…« Und er blickte flüchtig zu dem Adjutanten hinüber, der den Platz des Grafen am Tisch eingenommen hatte und sich mit einer ganzen Palette von Wachstöpfen, Bändern, Siegeln und anderen Gerätschaften zu schaffen machte.
»Mit Freuden, und ich würde auch Steine essen, wenn es nur am Kamin stattfände.«
Der Graf bot der Gräfin seinen Arm und gemeinsam schwebten sie zu dem heidnischen Spektakel hinüber, das hier unter dem Namen Kamin firmierte. Man hatte zwei Stühle aufgestellt, beides Armstühle, denn Gast und Gastgeber waren von gleichem Rang. Er brachte sie auf einem davon unter, ergriff dann mit eigenen Händen ein Holzscheit und warf es aufs Feuer: durchaus nicht ganz alltäglich für einen Grafen und vermutlich eine verschlüsselte Geste, die Eliza vermitteln sollte, dass der Graf keinen Wert auf Förmlichkeiten zu legen gedachte. Er klopfte die Hände aneinander und wischte sie dann mit einem Spitzentaschentuch sauber, während er sich setzte. Auf kalten, halb gefühllosen Füßen schlurfte ein Dienstmädchen heran, schob widerstrebend die Hände aus den Ärmeln und goss Kaffee ein, von dem Dampfschwaden aufstiegen.
»Tut Ihr derlei oft?«, fragte Eliza mit einem Blick zum Tisch hinüber, wo der Siegelungsvorgang soeben in sein Anfangsstadium eintrat.
»Selten über solche Beträge. Und niemals für eine so bezaubernde Gläubigerin, Mademoiselle. Aber ja, viele Standespersonen sind dem Beispiel des Königs gefolgt und haben dem Schatzamt ungenutzte Vermögenswerte geliehen, die man dort arbeiten lassen kann.«
»Es wird Euch mit Genugtuung erfüllen zu erfahren, dass diese Vermögenswerte entlang dem Kanal in der Tat sehr hart gearbeitet haben«, sagte Eliza. »Jedes englische Kriegsschiff, das dorthin zu fahren wagt, starrt zu vielen neuen Kanonen auf, geschützt von neuen Futtermauern und beschickt von Pulvermagazinen, die durch ausgezeichnete Straßen verbunden sind, welche nur Kuhpfade waren, als Seine Majestät diese Gegend Frankreich einverleibte.«
»Das freut mich wirklich außerordentlich!«, rief der Graf aus, kniff die Augen zusammen und wiegte sich auf seinem Stuhl nach vorn. Eliza sah verblüfft, dass er es vollkommen aufrichtig meinte; dann fragte sie sich, warum das so verblüffend war.
Der Graf machte ein langes Gesicht, als er Eliza ansah und keinerlei Begeisterung wahrnahm. »Bitte verzeiht mir, wenn ich... unangemessen gedämpft erscheine«, sagte sie, »es ist nur so,
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