Constantine
Ein Mann musterte sie von oben bis unten und sagte etwas auf Portugiesisch. Eine Frau bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg an ihr vorbei in die Kabine. Alles war voller Lärm, Gerüche und Farben, und Brianna konnte nicht anders als breit grinsen. Es fühlte sich verdammt gut an, frei zu sein.
Sie war endlich raus aus Vero Beach, raus aus dem stickigen Haus, in dem sie nichts anderes zu tun hatte, als Dads Akten zu sortieren und nach schriftlichen Indizien zu suchen, während Lizzie sich beim Tauchen amüsierte.
Ihr Handy hatte sie zu Hause gelassen – es würde hier drüben in Europa sowieso nicht funktionieren –, und Lizzie hatte keine Ahnung, was sie vorhatte. Ihre Schwester würde stinkwütend auf sie sein, doch wenn diese Reise erfolgreich war, würde Lizzie ihr sofort vergeben.
Aus Dads Notizen ging eindeutig hervor, dass er herausfinden wollte, wer » CB « war und was diese Person mit der Legende der
El Falcone
zu tun hatte. Brianna war dabei, dieses Rätsel zu lösen. Lizzie war die Identifizierung dieser Initialen fast wichtiger als der eigentliche Schatz. Ohne dieses Puzzleteil würde es schwer werden, zu beweisen, dass ihr Vorfahr kein gemeiner Pirat gewesen war.
Als die Kabine vom Boden abhob, griff Brianna in ihre Tasche, um sich Adresse und Wegbeschreibung noch einmal anzusehen. Maria Rossos Della Buonofuentes’ Englischkenntnisse hatten ausgereicht, um sich per E-Mail zu verständigen; ihren Angaben zufolge war Brianna nur noch wenige Minuten von ihrem Ziel entfernt.
Oben angekommen musste sie noch weiter hochsteigen, und die Straße war so steil, dass die schiefen Kopfsteinpflastersteine aus dem Boden ragten wie Treppenstufen. Alles hier war fremdartig, sie wusste kaum, wo zuerst hinsehen: Weiße Kirchturmspitzen ragten in den blauen Himmel, daneben leuchteten Ladengeschäfte in Bonbonfarben, die darüberliegenden Balkone waren mit Wäschestücken dekoriert. Straßenverkäufer und Fischhändler priesen lauthals ihre Waren an, und immer wieder war sie versucht, stehen zu bleiben, um alle die Köstlichkeiten zu probieren.
Doch sie hatte eine Mission, und nichts würde sie ablenken.
Am Eingang eines großen Parks entdeckte sie das Café, das Maria ihr genannt hatte:
Solar do Vinho
. Brianna wartete, bis ein bunt bemalter Trolleybus vorbeigeholpert war, und eilte dann über die Straße in die Bar.
Es war kurz vor fünf, sie war also ein paar Minuten zu früh. Das Café war praktisch menschenleer. Nur eine Frau saß in der hinteren Ecke, einen leuchtend orangefarbenen Schal um den Kopf: das verabredete Erkennungsmerkmal.
»Hallo, Maria.« Brianna sank ihr gegenüber auf den Stuhl und ließ ihre Tasche neben sich auf den Boden plumpsen. »Ich bin Bree Dare.«
Dunkle, traurige Augen verzogen sich zu einem Lächeln. Die Frau war jünger, als Brianna gedacht hatte, und richtig hübsch. Zur Begrüßung streckte sie eine kühle Hand aus und drückte äußerst kräftig zu.
»Sie haben es geschafft.« Ihr Englisch war fehlerfrei und melodiös.
»Ich war noch nicht mal auf meinem Zimmer«, gab Bree lachend zu. »Ich habe nur mein Gepäck beim Portier abgegeben und mich sofort auf den Weg hierher gemacht. Haben Sie es?«
Maria verschränkte die Arme. »Ja. Ich musste ein bisschen recherchieren, aber ich habe den Ort gefunden.« Sie zog ein zusammengerolltes Papier aus ihrer Tasche, das sie auf dem Tisch ausbreitete.
Eine Karte. Eine Insel. »Wo ist das?«
»Das, meine Liebe, ist Corvo. Die am weitesten abgelegene Insel der Azoren, mit weniger als vierhundert Einwohnern, Pferde und Rinder mit eingerechnet, und einer sehr, sehr kleinen Stadt. Es gibt dort Windmühlen, wie man sie sonst nirgends auf der Welt findet. Windmühlen aus Stein mit einer besonderen Mechanik, die niemals stehen bleiben, ganz gleich wie der Wind weht. Corvo ist berühmt dafür.«
Windmühlen? Aha. »Hat hier die Familie gelebt, von der ich Ihnen geschrieben habe, die Bettencourts?«
»Eines ihrer Mitglieder. Bettencourt ist auf den Azoren ein ziemlich verbreiteter Name, aber ich glaube, der Zweig, den Sie meinen, hat tatsächlich hier gelebt.«
»Sind Sie sicher?« Brianna runzelte die Stirn. »Es ist also … so weit draußen.«
»Sie suchen nach Carlos Bettencourt, und diese Insel war auf seinen Namen eingetragen. Ich habe für andere Kunden schon viele Zweige seiner Familie erforscht. Dieser hier lässt sich bis nach Corvo zurückverfolgen, wobei er so umfangreich ist, dass selbst ein erfahrener Ahnenforscher wie
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