Coogans Fluch (German Edition)
vermochte sie nicht näher zu definieren.
„Halte dich fest, Schwester!“, ertönte die Stimme. Der Wolf erhob sich. Zunächst schritt er gemächlich dahin, verfiel dann in leichten Trab und als sich Sally über seinen Hals beugte und ihre Hände fest in das Fell krallte, setzte er zum Galopp an. Sally beunruhigte ein wenig, dass es direkt in die neblige Schlucht ging, doch blieb ihr nichts anderes übrig, als sich ihrem Schicksal zu ergeben. Zudem machte es ihr die zunehmende Geschwindigkeit bald unmöglich, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, als darauf, nicht herunterzufallen. In einem haben die Gerüchte Recht, dachte sie in diesem Augenblick, kein Pferd der Welt kann es mit der Geschwindigkeit dieses Wolfes aufnehmen.
Plötzlich vernahm sie einen Schrei in der Nähe, Schüsse fielen, doch war ihr nicht möglich zu bestimmen von woher und schon blieben die Geräusche hinter ihnen zurück. Dann verfiel der Wolf in gemächlichen Trab. Der Nebel verschwand allmählich, als der Wolf mit geschmeidigen Sätzen einen steilen Hang erklomm. Oben angekommen, verhielt er und endlich vermochte Sally die sie umgebende Landschaft zu betrachten. Weit unter ihnen wallten Nebel in der Schlucht. Der kegelförmige Berg, von dem Sally und Frank annahmen, er sei ein Vulkan, befand sich erstaunlich nahe. Sally rutschte vom Rücken des Tieres und versuchte zu bestimmen, wie weit sie sich von der Felsnadel entfernt hatten. Auf den ersten Blick fand sie den markanten Punkt in der Landschaft nicht und als sie ihn dann doch entdeckte, vermochte sie ihre Überraschung nicht zu verbergen. „Mein Gott, wir müssen geflogen sein.“
„Nicht geflogen, weiße Schwester.“ Diesmal ertönte die Stimme nicht in ihrem Kopf und Sally wirbelte herum. Verwundert erkannte sie, dass es sie nicht besonders überraschte, anstelle des Wolfes jenem Indianer gegenüber zu stehen, der sie vor den heranrückenden Holzfällern gewarnt hatte.
„Franks Geschichten sind also wahr“, murmelte sie. Dann lauter: „Warum hast du mich hierher gebracht?“
„Du sollst erfahren, was du wissen willst. Dein Herz ist schwer vor Sorge und Trauer. Folge mir“, damit wandte er sich um und schritt zu der jähen Felskante, die beinahe senkrecht in ein enges Tal abfiel. Hart an der Kante wartete er, bis Sally neben im stand und sagte: „In diesem Tal starben dein Mann und seine Freunde.“
Sallys Herzschlag setzte einige Augenblicke aus. Sie hatte an Rick seit zwei Tagen nicht mehr gedacht, zu sehr hatten sie die sich überschlagenden Ereignisse vom Schicksal ihres Mannes abgelenkt. Sie schämte sich deswegen, gleichzeitig konnte sie die Überraschung darüber, dass dieser Indianer um ihren vermissten Mann wusste, nicht verbergen.
„Woher weißt du das? Wie konntest du wissen, wer mein Mann war?“
Der Indianer entgegnete: „Mir eröffnen sich viele Dinge, meist mehr, als ich wünschte. Sei versichert, weiße Schwester, dieses Tal ist das Grab vieler weißer Männer.“
„Hast du ihn getötet – ihn und all die anderen?“
„Nein“, erwiderte der Indianer bestimmt.
„Was geschah mit ihnen?“
„Dies ist heiliges Land und es wurde oft entweiht von deinem Volk. Viele dieser Unwissenden vertrieb Coogans Fluch. Er tötete nur diejenigen, die das Mysterium des Ortes fanden, dessen letzter Wächter er ist. Vor vielen Sommern bohrten und gruben weiße Männer Tunnel und Löcher in den Stein, sie waren die Ersten, die dies Land entehrten – doch der Wächter ließ sie gewähren.“
Der Alte verstummte und Sally wagte nicht ihn zu drängen. Sie wusste nun, dass Rick hier sein Grab gefunden hatte.
„Erst als sie durchbrachen und das Mysterium, der Nachlass eines einst mächtigen Volkes, nicht länger sicher war, hatten sie ihr Leben verwirkt. Noch viele durchstreiften später diese Berge, doch der Anblick des Wächters genügte, sie von hier zu vertreiben. Nur dieser dunkle Mann, den ihr den Narbigen nennt, zeigte keinen Respekt – er blieb und fand die verlassenen Gänge, auch das Gold. Seit er hier ist, leiden die Raben und Bussarde keinen Hunger. Er tötete diese Männer.“
Sally wusste, dass der Indianer nicht log. Wieso auch? Nicht nach Gold hatte ihr Mann gesucht, sondern nach Abenteuer und dem Ruhm des Jägers. Dennoch tötete ihn das Gold. Indem er der Spur von Coogans Fluch folgte, war er dem Narbigen in die Arme gelaufen. Tränen tropften vor ihren Füßen in den Schnee. War es das wirklich
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