Coogans Fluch (German Edition)
Dickins. Vielleicht, so überlegte er, sollte er in Fairbanks ein neues Leben beginnen. Ein Leben ohne den steten Drang einer Fährte folgen zu müssen und ohne vom Hass geleitet zu werden. Doch entschieden wischte er diese Gedanken hinfort. Vorher musste er noch lebend hier herauskommen.
Plötzlich durchdrang ein schwacher Lichtschimmer die Finsternis. Tief atmete der Jäger durch, griff nach dem Bogen, angelte einen Pfeil aus dem Köcher und legte den in die Sehne.
Abermals verschwanden die Eindrücke der Welt um ihn herum, weder nahm er das Glucksen des Sickerwassers noch die Geräusche seiner Atmung war. Bar aller Gedanken und Gefühle nahm er allein die Präsenz des Narbigen in sich auf.
Endlich erkannten Jonathans Augen die Umrisse eines Mannes im schwankenden Lichtschein der Laterne. Unterschwelliges Knurren kroch aus den Tiefen seines Brustkorbes als Jonathan den Bogen spannte und der Pfeil von der Sehne schnellte. Als sich seine Finger vom Pfeil lösten, durchdrang ein Schrei die Stille, das Licht verlosch und kurz darauf blitzte Mündungsfeuer an der Stelle auf, wo eben noch die Lampe geleuchtet hatte.
Dröhnend rollte der Donner des Schusses durch den Stollen, giftete das Projektil über Jonathans Kopf hinweg. Im selben Atemzug legte er einen weiteren Pfeil in die Sehne, spannte den Bogen und der Pfeil sirrte durchs Dunkel.
Kugeln prasselten in den Steinhaufen vor Jonathan, andere pfiffen an ihm vorbei, prallten an den Stollenwänden ab und heulten als Querschläger hinter dem Jäger in die Finsternis. Unberührt vom Höllenspektakel, dem beißenden Pulverqualm, der sich schnell verdichtete, jagte Jonathan Pfeil um Pfeil von der Sehne, bemüht dem ständig wechselnden Standort des Mündungsfeuers vor ihm zu folgen. Irgendwann schnellte sein letzter Pfeil von der Sehne. Ein unterdrückter Aufschrei folgte, begleitet vom metallischen Klicken eines Schlagbolzens.
Jonathan lauschte nach den Geräuschen von Patronen die in ein Magazin geschoben wurden, doch allein das Plätschern der Wassertropfen drang zu ihm.
„Gratuliere, McLeary“, erschallte die Stimme des Narbigen. „Du überrascht mich. Hast dazu gelernt, seit unserem letzten Aufeinandertreffen.“ Höhnisches Gelächter folgte.
Jonathan schwieg, seine Faust umklammerte den Stiel des Kriegsbeils. Er hatte nichts zu sagen, sein Leben oder das des Narbigen, das allein zählte. Unheilschwanger rollte ein Rumpeln durch den Berg, ließ die Felswände erzittern, doch registrierte dies Jonathan nur unterschwellig.
Wieder sprach der Narbige: „Keine Pfeile mehr, was? Auch ich habe mein Pulver verschossen. Was für ein Pech aber auch.“ Der Narbige schien sich köstlich zu amüsieren. Dann sagte er: „Muss ja 'ne mächtig hohe Belohnung sein, die auf dich wartet, oder warum bist du all die Jahre auf meiner Fährte?“
Schweigen.
„Verdammt, McLeary. Ich spüre deinen Hass, dein Verlangen mich zu töten. Willst du mir nicht endlich verraten, warum? Nein? Nun gut. Ich weiß ohnehin, dass Rache dein Motiv ist. Geld bedeutet solchen Burschen wie dir nicht allzu viel. Habe ich nicht Recht? Was könnten wir zusammen vollbringen. Siehe die Kraft deines Körpers, deinen unbeugsamen Willen. Welch eine Verschwendung! Oder glaubst du, mich besiegen zu können? Niemand kann das. Vergiss deine Rache. Komm an meine Seite. Wie Könige werden wir uns unter den Menschen bewegen. Wäre das nicht besser, als dein bisheriges, armseliges Dasein? Reichtum und Macht an meiner Seite, McLeary oder den Tod. Das ist es, was du von mir erhalten wirst. Überlege gründlich, aber nicht zu lange.“
Hatte der Narbige zunächst in einem höhnischen Ton gesprochen, so klang seine Stimme während der letzten Sätze zunehmend beschwörender, ja beinahe verheißungsvoll.
Jonathan schwieg mit aufeinander gepressten Zähnen. Die Worte des Narbigen verstärkten seinen Hass, dennoch blieb er Herr seiner Gefühle. Er mahlte sie zwischen den Zähnen, schluckte sie hinunter, fühlte die lodernden Flammen des Zorns sich in Eiseskälte verwandeln. Eine Kälte die bis zur letzten Zelle seines Körpers strömte und ihn erfüllte. Zischend atmete er aus, erhob sich und trat hinter dem Steinhaufen hervor. Die Welt um ihn herum verschwand.
Er stand inmitten einer von Nebelschwaden durchzogenen, konturlosen Fläche aus Nichts. Selbst der Boden unter seinen Füßen war zu einem undefinierbaren etwas geworden. Rötliches, pulsierendes Licht erhellte die
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