Coogans Fluch (German Edition)
Erdstöße erschütterten die Ebene, stürzten die Männer, kamen jedes Mal schwerfälliger auf die Füße. Ungeachtet seiner eigenen Erschöpfung, half Ben den Gestrauchelten ein ums andere Mal, dabei trieb er sie unermüdlich zur Eile an. Einmal suchten seine Blicke nach Sally, die er schon seit dem ersten Beben aus den Augen verloren hatte und erleichtert sah er sie für einen flüchtigen Moment an der Spitze des Zuges. Seine Augen suchten nach der Anhöhe, die unter diesen Umständen in schier unerreichbarer Ferne lag.
„Los Leute, macht dass ihr vorwärts kommt, helft euren Kameraden und folgt den Schlitten!“, brüllte er über das Inferno hinweg.
Eine Fackel war nicht nötig. Das rötliche, pulsierende Licht, das von der Präsenz der Mächte herrührte erhellte den Stollen. Jonathan war es gelungen, die Arme des Narbigen zu greifen und zusammen mit dessen Körper hielt er sie wie in einem Schraubstock umklammert, während er den gewundenen Stollen folgte. Zeit und Raum verblassten, bis sie sich vollständig auflösten und wie in einem eigenen Universum setzten die beiden Männer ihren Weg fort. Mit einem Mal spürte der Jäger einen frischen Luftzug. Dann sah er den schmalen Durchlass in der Stollenwand. Den Befreiungsversuchen des Narbigen ignorierend, trat Jonathan durch die Öffnung.
Der Weg führte bergan und nach wenigen Kehren löste von Sonne und Schnee schwangere Luft die stickige Feuchte der Stollen ab. Jonathan wusste nicht wo sie sich befanden, noch wohin sie dieser Weg führen würde. Trotzdem zweifelte er nicht daran, das Richtige zu tun. Auch der Narbige schien dies zu wissen.
„Du kannst mich nicht töten!“, stieß er hervor.
Unerträgliche Hitze strömte aus seinen Gliedern, versengte Jonathans Haare, brannte sich durch die Kleider in die Muskeln seiner Arme. Er verstärkte den Griff, hörte wie die Rippen des Narbigen knackten, dann erreichten sie eine weitere Öffnung im Gestein. Tageslicht und schwefelhaltiger Geruch strömten herein.
Unter einer letzten Aufbietung all seiner Kräfte hielt Jonathan den Narbigen fest, dessen aus jeder Pore dringende Hitze kaum mehr zu ertragen war, und eilte auf die Öffnung zu. Ohne darüber nachzudenken registrierte er die Veränderung des verhassten Mannes in seinen Armen. Rotes Licht schien aus den Augen, den Ohren und Nasenlöchern zu dringen. Die Festigkeit seiner Glieder verschwand, feste Knochen wurden weich, bis Jonathan das Gefühl hatte den windenden Leib eines Polypen zu halten, eines kochenden Polypen, der ihn zu versengen drohte. Dann war er durch die Öffnung und für einen Herzschlag schloss er die Augen gegen das blendende Licht der über ihren Köpfen gleißenden Sonne. Das Ding in seinen Armen schrie, der Ton klirrte durch Jonathans Eingeweide und er kämpfte gegen den Drang sich zu übergeben und die Kreatur freizugeben.
Er zwang sich die Augen zu öffnen, erkannte die gegenüber liegende Felswand und den schmalen Sims auf dem er stand.
Vor seinen Füßen der gähnende Schlund einer Schlucht.
Dampfende Lava wälzte sich träge auf deren Grund dahin.
„Bring es zu Ende, Jonathan!“, wisperte Miriam in seinen Gedanken.
Mit letzter Kraft stemmte er das Ding, das einst der Narbige gewesen war, über seinen Kopf und schleuderte es hinunter in die glühende Lava, in den geöffneten Rachen der Erde.
Mit angehaltenem Atem beobachte Jonathan die fallende Kreatur, deren Schreie sein Innerstes zu zerreißen drohten. Dann verschwand es in dem Fluss aus kochendem Stein. Die Welt verharrte für einen Atemzug, schließlich spritzte eine explodierende Lavafontäne aus dem Strom empor, zugleich entlud sich eine weitere Detonation. Jonathan hechtete zurück durch die Öffnung. Erdstöße erzitterten den Berg.
Dem Jäger schienen Ewigkeiten zu vergehen, ehe sich die Erde beruhigte. Staub und Rauch verschleierten die Sicht, dennoch erkannte Jonathan, dass nur wenig Gestein von den Wänden und der Decke ausgebrochen waren. Noch war ein Entrinnen möglich, wenn er nicht zögerte. Schwefelhaltige Dämpfe und sengende Hitze schlugen dem Jäger vor der Öffnung entgegen.
„Du hast es vollbracht“, sagte Miriams Stimme. Dann war der Jäger mit sich und seinen Gedanken allein, während die Welt um ihn her zerbarst. Doch nahm er davon kaum etwas wahr. Etwas, dass ihn all die Jahre angetrieben hatte, verlöschte in seinem Innern und für einen kurzen Moment fühlte er eine seltsame Leere in sich.
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