Cool Hunter
Frappuccinos.« (Ich war so davon beeindruckt, dass sie diesen Meilenstein in der Geschichte der computeranimierten Filme kannte, dass ich das Product-Placement hier ausnahmsweise mal durchgehen lasse.)
Inmitten der rasant aufeinanderfolgenden Bildsequenzen
entdeckte ich tatsächlich abgeschossene Raketen. Dann stürmte Pikachu, der gelbe, mausartige Protagonist der Serie, nach vorne, stieß einen jaulenden Schlachtruf aus und schoss einen seiner Donnerblitze ab.
»Und los geht’s«, raunte Tina.
Ich kniff die Augen zusammen und hoffte, dass Jen ebenfalls ihren natürlichen Sichtschutz aktivierte. Als Pikachus Blitz in die Raketen fuhr, begann der Bildschirm stakkatoartig rot und blau aufzuflackern und infernalische Farbzuckungen gegen die weißen Wände des Wohnzimmers zu werfen. Das Ganze dauerte sechs lange Sekunden, dann war es vorbei.
Leichte Kopfschmerzen, mehr nicht. Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus.
»Das waren dieselben Farben wie bei dem PooSham-Spot«, stellte ich fest.
Tina nickte. »Rot wirkt am heftigsten.«
»Aber so heftig wie auf der Party war es nicht. Was meinst du, Jen?«
Sie antwortete nicht. Ihre grünen Augen waren auf die sich immer noch hektisch aneinanderreihenden Bildsequenzen der Zeichentrickserie gerichtet. Fand sie die Story wirklich so faszinierend?
»Jen?«
Sie sackte nach vorne und kippte zur Seite weg.
Kapitel
EINUNDZWANZIG
»Jen!«
Ich sprang von der Couch auf und warf dabei meine Schale mit der Reispampe um.
»Wow!«, sagte Tina. »Es hat tatsächlich funktioniert. Das hätte ich jetzt echt nicht gedacht!«
Jen hatte die Augen geschlossen, aber unter ihren Lidern zuckten die Augäpfel wie bei einem Albtraum unruhig hin und her.
»Jen? Kannst du mich hören?«
Sie stöhnte, dann tastete sie nach meinem Arm und hielt sich kraftlos daran fest. Ihre Lippen bewegten sich und ich beugte mich näher zu ihr herunter.
»Ich bin eine zapanische Jehnjährige«, murmelte sie.
»Was?«
»Eine japanische Zehnjährige, meine ich.«
Sie öffnete die Augen und blinzelte.
»Hi, Hunter. Mann, das war cool.«
»War es nicht !«, sagte ich.
Jen kicherte.
»Soll ich den Notarzt rufen?«, fragte Tina und griff nach ihrem Haustier-Handy. Es hatte rosa Plastikohren, die mir plötzlich mit absurder Deutlichkeit ins Auge sprangen. Musste
am Adrenalin liegen, das in dem Moment durch meine Adern pumpte.
»Nein, mir geht’s gut.« Jen setzte sich mühsam auf und legte mir dabei haltsuchend einen Arm um die Schulter. Ihr Griff fühlte sich schwach und zittrig an.
»Bist du sicher?«
»Absolut. Mir geht’s sogar fantastisch.« Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Ich hab’s kapiert, Hunter. Ich weiß jetzt, wer dahintersteckt.«
»Aha?«
»Bring mich nach Hause. Ich erklär es dir dort.«
Tina war ziemlich erschüttert und der Schock hatte sie endgültig in die Tokioer Zeitzone zurückkatapultiert. An Schlaf würde für sie erst einmal nicht zu denken sein. Sie und Jen entschuldigten sich noch vier- oder fünfmal beieinander (»Tut mir echt leid, dass du meinetwegen einen Anfall hattest!« – »Tut mir echt leid, dass ich auf deinen Teppich gesabbert hab!«), dann verabschiedeten wir uns.
Wir gingen zu Fuß zu Jens Wohnung; sie lehnte sich schwer an mich und die dunkle Nacht um uns herum wirkte tröstlich real und verlässlich. Nach all den epileptische Anfälle auslösenden Blitzen kamen mir die sanft vorübergleitenden Autoscheinwerfer und das bedächtige Blinken der »Don’t Walk«-Zeichen so beruhigend vor wie ein Sonnenuntergang.
»Gott, war das peinlich.«
»Sei nicht albern. Das hätte jedem passieren können.«
»Ach ja? Du hast dich aber nicht sabbernd und zuckend auf dem Boden gewunden.«
»Ich hab auch nicht so nah drangesessen wie du. Und ich hab die Augen zugekniffen.«
»Du hast geschummelt!«
Ich hob entschuldigend die Schultern, als ich mich daran erinnerte, dass ich in dem Moment, als die Paka-Paka-Effekte einsetzten, tatsächlich weggeschaut hatte. »Vielleicht hat es ja auch was Gutes.«
»Was hat was Gutes?«
»Eine zapanische Jehnjährige zu sein. Tina hat doch gesagt, dass der Effekt bei Leuten, deren Gehirn noch nicht vollständig entwickelt ist, am stärksten ist.«
»Herzlichen Dank.«
»Nein, so hab ich’s nicht gemeint. Ich meinte, dass das vielleicht der Grund ist, warum du eine Innovatorin bist. Du nimmst deine Umgebung auf ganz andere Art wahr als die meisten anderen Menschen. Du bist wie ein Kind und vernetzt
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