Cool Hunter
so dünnhäutig wie ein Kaugummi, den jemand zwischen Zähnen und Fingern in die Länge gezogen hat, bis er kurz vor dem Zerreißen steht. Allein der Gedanke an eine weitere Begegnung mit dem Anti-Kunden ließ mich beinahe in epileptische Zuckungen ausbrechen.
Also folgte ich zum ungefähr zwanzigsten Mal an diesem Tag Jens Beispiel und ging nach Hause und ins Bett.
Kapitel
ZWEIUNDZWANZIG
»Hast du dir die Hände gewaschen?«
»Ja, ich habe mir die Hände gewaschen.« (Geschlagene zehn Minuten. Sie waren immer noch purpurrot.)
»Freut mich zu … Gütiger Gott, Hunter, deine Haare!«
Mom und ich grinsten uns über den Tisch hinweg an, als Dad eines seiner allmorgendlichen erschreckenden Diagramme aus der Hand glitt.
»Ich wollte mal einen anderen Look ausprobieren.«
Er holte tief Luft. »Das ist dir gelungen.«
» Und er hat gestern Abend Smoking und Fliege getragen«, sagte Mom und fügte in gut hörbarem Flüsterton hinzu: »Das ist das neue Mädchen.«
Dad klappte den Mund wieder zu und nickte mit dem unerträglichen Gesichtsausdruck eines Vaters, der sich einbildet, alles zu wissen. Was er, zu meiner tiefen Befriedigung, nicht tat.
»Ich dachte, du hättest sie erst vor zwei Tagen kennengelernt. «
»Hab ich das?«, fragte ich. Aber er hatte recht: Ich kannte Jen seit weniger als achtundvierzig Stunden. Ein ernüchternder Gedanke.
»Sie ist ziemlich … mitreißend«, räumte ich ein.
»Und was hat es mit deinen roten Händen auf sich?«, fragte Dad, als ich mir Kaffee einschenkte.
»Ein Retro-Punk-Ding. Außerdem tötet das Färbemittel Bakterien ab.«
»Was ihr immer für Ideen habt«, seufzte Mom. »Wo seid ihr gestern Abend eigentlich hingegangen?«
»Auf die Launchparty von so einem neuen Magazin, und danach, ähm, sind wir zu Tina und haben uns einen Film angeschaut. «
»Oh, was denn für einen?«
»Computer Warrior Polygon.« Ich trank den ersten Schluck Kaffee des Tages.
»Ist der mit Kevin Bacon?«
»Ja genau, Mom, der ist mit Kevin Bacon. Ach nein, warte mal, stimmt nicht. Es war ein japanischer Zeichentrickfilm.« Ich nannte den Namen der Serie.
»Sind das nicht diese Zeichentrickfilme, die epileptische Anfälle auslösen?«, fragte mein Vater und schaute mir dabei irritierenderweise auf die blondierten Haare statt ins Gesicht.
Ich drohte kurzzeitig an meinem Kaffee zu ersticken. »Woher weißt du das? Gilt Epilepsie mittlerweile etwa als ansteckend?«
»Na ja, in gewisser Weise schon. Zumindest in diesem Fall waren die meisten Reaktionen soziogenetisch bedingt.«
Noch niederschmetternder als die Tatsache, dass mein eigener Vater am Frühstückstisch ein Wort wie soziogenetisch benutzte, war: Ich wusste, was es bedeutet.
Dad hat dazu eine coole Geschichte erzählt:
1962 wurde in einer Kleiderfabrik in South Carolina an einem Freitag eine der Arbeiterinnen krank; sie gab an, von
einem Insekt gestochen worden zu sein, während sie Stoffe aus England verarbeitet habe. Kurz darauf mussten zwei weitere Arbeiterinnen mit Schwindel und Hautausschlägen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Bis zum darauffolgenden Mittwoch hatte sich eine Epidemie entwickelt. Während der Frühschicht erkrankten sechzig weitere Arbeiterinnen, woraufhin die staatliche Gesundheitsbehörde ein Team von Ärzten und Insektologen in die Fabrik schickte. Sie fanden Folgendes heraus:
Es waren keine giftigen Insekten zu finden, weder aus England noch sonst woher.
Die unterschiedlichen Symptome der Arbeiterinnen ließen sich keiner bekannten Krankheit zuordnen.
Die Krankheit hatte nicht alle Mitarbeiterinnen der Frühschicht befallen, sondern nur diejenigen, die sich auch persönlich kannten. Statt unter sämtlichen mit den englischen Stoffen in Berührung gekommenen Arbeiterinnen, breitete sich die Krankheit lediglich innerhalb einen bestimmten sozialen Gruppe aus.
Alles deutete auf einen Betrug hin, aber die Betroffenen waren tatsächlich krank. Die Epidemie war soziogenetischer Natur, das Ergebnis einer Panik. Während sich die Gerüchte über die Krankheit verbreiteten, bildeten sich die Arbeiterinnen ein, zu spüren, wie sie von Insekten gestochen wurden, und entwickelten ein paar Stunden später entsprechende Symptome. Es funktioniert also tatsächlich. Kleiner Selbstversuch gefällig? Dann stellt euch mal Folgendes vor: Krabbelnde Insekten auf euren Beinen … Insekten auf eurem Rücken … Insekten, die
euch durch die Haare wuseln … Insekten, Insekten, Insekten. Und? Spürt ihr sie schon?
Ich
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