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Coole Geschichten für clevere Leser

Coole Geschichten für clevere Leser

Titel: Coole Geschichten für clevere Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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besorgt.
    »Natürlich nicht. Was hast du jetzt vor, Walter?«
    »Das weiß ich selbst noch nicht genau. Ich bin pleite. Nicht mal mehr genug Geld für ein Hotelzimmer.«
    »Hierher kannst du aber nicht kommen. Ich meine, wenn …«
    Endlich begann sie mitzudenken. »Schon gut, Myrna, ich weiß, daß ich nicht nach Hause kommen kann. Aber ich muß essen, das ist ein Naturgesetz. Du machst folgendes. Du steckst ungefähr dreihundert Dollar in einen Umschlag und adressierst ihn an John Nolan im Montgomery Hotel. Hast du verstanden?«
    »Ja. John Nolan.«
    »Nichts aufschreiben; du kannst dir den Namen merken. John Nolan im Montgomery. Ich melde mich morgen früh dort an. Versuch dich nicht mit mir in Verbindung zu setzen, das wäre zu riskant. Kapiert?«
    »Aber wenn dich nun jemand erkennt?«
    »Mach dir deswegen keine Sorgen. Das Mont- gomery ist weit über unserem Niveau. Versuch mir kleine Scheine zu schicken. Okay?«
    »Schön.«
    Ich hängte ein. Dann ging ich zum Zeitungsstand, kaufte mir von meinem letzten Geld eine Zeitung und etwas zu rauchen und suchte den Warteraum auf. Dort ermittelte ich die weichste Bank und verstaute meine Sachen darunter. An diesem Ort verbrachte ich die Nacht, auf einen Zug wartend, den ich nie nehmen würde.
    Als ich erwachte, taten mir etliche Knochen weh, doch ansonsten war ich einigermaßen munter. Ich suchte die Toiletten auf und wusch mich, so gut es ging. Trotz der Bartstoppeln und des zerknitterten Anzugs sah der Kerl im Spiegel besser aus als siebzig Prozent aller Männer in der Stadt. Ein angenehmer Gedanke – und daß es so war, hatte seinen guten Grund: die Natur hatte es so gewollt. Jetzt brauchte ich nur noch das zu dem Gesicht passende Geld, dann war es geschafft.
    Ich wanderte aus dem halbleeren Bahnhofsgebäude in einen sonnigen Tag hinaus. Das Wetter paßte zu meiner Stimmung. Sie wissen ja, wie das so ist. An manchen Tagen klappt eben alles.
    Ich legte die Strecke zum Montgomery zu Fuß zurück. Das Hotel lag wirklich über meinem Niveau, ich meine: lag. Ein mächtiger weißer Sandsteinblock, der sich in klaren Linien achtzehn Stockwerke hoch emporschwang, umgeben von einem Zaun aus gleichmäßig gewachsenen Bäumen. Der Baldachin vor dem Eingang ragte fünf Meter auf die Straße hinaus, und der Portier sah aus, als hätte er jeden existierenden Orden gewonnen, angefangen bei der Kongreß-Medaille. Es war ein angenehmes Gefühl, über den weinfarbenen Teppich in das vornehme Foyer zu schreiten und zu wissen, daß Geld und ein Zimmer und eine warme Dusche auf mich warteten.
    Wie ein gelangweilter Millionär ging ich zum Empfang. Ich kratzte mir gelassen die unrasierte Wange. Der zerknitterte Anzug und die Bartstoppeln machten mir keine Sorgen; schließlich hatte ich die reichen Vögel oft genug in der Stadt herumtorkeln sehen, mitgenommen nach durchzechter Nacht. Ich blinzelte dem Hotelangestellten zu und schenkte ihm mein breitestes Douglas-Fairbanks-Lächeln.
    »Ein Zimmer bitte«, sagte ich. »Etwas Ordentliches.«
    Der fischäugige Bursche hinter dem Tresen ließ nicht erkennen, ob er beeindruckt war. Jedenfalls gab er mir ein Zimmer im zehnten Stockwerk und schlug mit der Handfläche auf eine Glocke.
    »Ich glaube, Sie haben Post für mich«, sagte ich. »Mr. John Nolan.«
    Mit zweifelndem Blick drehte er sich zu den Fächern um. Ich hielt den Atem an. Erleichtert ließ ich die Luft wieder aus, als er einen dicken Umschlag zum Vorschein brachte.
    Das Zimmer war in Ordnung. Vielleicht ein bißchen enttäuschend. Ich hatte mir immer vorgestellt, ein solches Haus müßte in Luxus ersaufen, dabei war es nur ein netter, gemütlicher Raum, ohne große Aussicht. Nach Dusche und Rasur gefiel mir die Unterkunft noch besser. Ich ließ mich auf das große weiche Bett fallen, öffnete den Umschlag, zündete mir eine Zigarette an und zählte das Geld.
    Es waren zweihundertundvierzig Dollar mit einem Zettel: »Tut mir leid. Mehr habe ich nicht zusammenbekommen.«
    Ich runzelte die Stirn und kam zu dem Schluß, daß die Differenz nichts änderte. Das Geld würde mich eine Zeitlang über Wasser halten. Inzwischen ließ sich bestimmt der Versicherungsagent bei Myrna blicken, dann waren solche Beträge ohnehin ein Klacks.
    Ich blieb fast zwei Wochen lang im Montgomery. Dabei fiel mir auf, daß keiner der reichen Vögel, die hier wohnten, besser aussah oder klüger war als ich. Der einzige Unterschied zwischen uns war eben das Geld – ein Unterschied, den ich schleunigst

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