Cop
Längerem verwaist. Bis Ian ein Geräusch vom hinteren Teil des Ladens hört. Da bewegt sich etwas.
Er läuft quer durch den Raum zum Abhollager hinter dem Haus.
Andy steht am Heck von Vickie Dodds altem Chevy-Pick-up und schaufelt drei Heuballen auf die Ladefläche. Als er fertig ist, wirft er die Heugabel auf die Ballen, die sich vor der Wellblechwand stapeln, und klatscht zweimal auf den Wagen. »Bis nächste Woche!«
Im offenen Fenster der Fahrertür erscheint Vickies fleckige Hand. Der Motor heult auf, und einen Moment später sind sie allein.
Mit einem Lächeln dreht sich Andy um. »Hey, Ian. Was kann ich für dich tun?«
»Wir müssen reden.«
»Worum geht’s?«
»Um Genevieve.«
»Ach, das. Mensch, Ian, das tut mir alles furchtbar leid. Ich schwöre dir, es wird nie w…«
Ian lässt ihn nicht aussprechen, sondern macht einen schnellen Schritt nach vorne und packt ihn mit der linken Hand an der Kehle. Mit der rechten zieht er seine SIG. Andys Kopf kracht gegen die Wellblechwand, ein Knall wie ein Donnergrollen, während Ian den Pistolenlauf an Andys Schläfe presst. »Du sagst es. Es wird nie wieder vorkommen.«
»Scheiße, Mann, was soll das?«
»Hör mir zu, du gottverdammter Hurensohn. Solltest du Genevieve noch ein einziges Mal anrühren, bring ich dich um. Verstanden?«
»Mann, sie wollte abhauen! Sie wollte Thalia mitnehmen! Und da bin ich … Das musst du doch verstehen, Ian, gerade du! Sie ist alles, was ich habe, und …«
Ian schlägt ihm den Pistolengriff gegen die Schläfe. Mit einem dumpfen Grunzen sackt Andy zusammen, doch Ian hält ihn auf den Beinen, und nach ein paar erstickten Atemzügen steht er wieder halbwegs stabil.
»Tut weh, was?«
»Hör mal, Ian, ich …«
»Schhh. Dein Gerede interessiert mich nicht. Wenn Genevieve das nächste Mal gehen will, lässt du sie gehen. Deiner Tochter zuliebe. Sonst endet sie noch mit genauso einem Versager wie dir. Wenn du sie liebst, musst du sie gehen lassen. Kapierst du das?«
»Ian, ich versuche doch …«
»Für Versuche ist es schon lange zu spät. Solltest du sie noch einmal anrühren, bring ich dich um, ich schieß dir eine Kugel in den Kopf und vergrab dich, wo dich keiner findet. Hast du das verstanden?«
Ein Nicken.
»Ich will es hören.«
»Ich hab’s verstanden.«
»Gut so.« Und es ist wirklich gut so, denn in diesem Moment stellt Ian fest, dass er es tatsächlich ernst meint. Eigentlich wollte er Andy nur ein bisschen Angst einjagen, aber nun spürt er, dass er imstande ist, seine Drohung in die Tat umzusetzen. Dass er den Abzug drücken kann. Damit wäre die Sache ein für alle Mal erledigt. Stattdessen steckt er die SIG wieder ins Halfter und macht einen Schritt zurück.
»Wir sehen uns, Andy.«
Zurück in seinem Apartment schlägt Ian das Telefonbuch auf und blättert, bis er PAULSON, A. & G. gefunden hat. Er wählt die Nummer und wartet. Nach dem vierten Klingeln nimmt Genevieve ab und haucht ein zögerliches »Hallo?« in den Hörer.
»Genevieve? Hier ist Ian Hunt.«
»Ian …? Ach ja, Ian … Ist … Ist irgendwas mit Andy?«
Vielleicht irrt er sich, aber Ian meint, eine Spur Hoffnung in ihrer Stimme zu hören. »Nein. Ich wollte dir nur etwas sagen. Wenn du das nächste Mal gehen willst, wird er dich nicht mehr aufhalten. Ich habe ein ernstes Wörtchen mit ihm geredet und glaub mir, so etwas wie heute Morgen wird nicht wieder vorkommen.«
Mit dem Stieltopf in der Hand geht Ian zur Couch und setzt sich hin. Er stellt den Topf auf den Tisch und rührt noch ein bisschen in den Fertignudeln herum, bevor er sich den ersten tropfenden Bissen in den Mund schaufelt. Dann zerrt er die Akten aus dem Büro des Sheriffs auf seinen Schoß und schlägt die erste auf: Jamie Donovan aus Mencken. Im Jahr 2002 im Alter von elf Jahren aus ihrem Zimmer entführt und vier Tage später im Straßengraben gefunden, nach dem Tod anal missbraucht und verstümmelt. Auf einem einfachen Blatt Papier ein farbkopiertes Foto: braune Haare, traurige braune Augen, eine etwas verschüchterte Haltung.
Ians Handy klingelt. Das ist Jeffrey, denkt er sofort. Schnell schmeißt er die Gabel in den Topf, nimmt das Telefon und wirft einen Blick aufs Display. Er hat sich geirrt.
»Hallo.«
»Ian?«
»Debbie.«
»Wie geht’s dir?«
Ian kratzt sich an der Wange. Die Bartstoppeln jucken. Kein Wunder, er hat sich schon länger nicht mehr rasiert. »Nichts Neues von Maggie. Tut mir leid.«
»Ich weiß.«
»Ach ja?«
»Von Bill.«
»Stimmt.
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