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Cop

Cop

Titel: Cop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Jahn
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Er hätte es sicher erfahren.«
    »Ja.«
    »Warum rufst du dann an?« Ian hört bloß ihren Atem. Nach einer Weile fragt er: »Hast du Streit mit Bill?«
    »Nein, nein, mit Bill ist alles in Ordnung. Ich hätte gar nicht anrufen sollen.«
    »Schon okay. Hab heut nichts weiter vor.«
    »Du hast immer dran geglaubt, oder? Ich mein, dass sie am Leben ist?«
    »Ich habe es immer gehofft.«
    »Hattest du nie Zweifel?«
    »Doch, natürlich.«
    »Aber du hast die Hoffnung nicht aufgegeben.«
    »Nein.« Ian beugt sich vor, nimmt sich die Guinness-Flasche vom Wohnzimmertisch und trinkt einen Schluck.
    »Aber wie du mich …« Sie verstummt. »Ich hab gesehen, wie du mich gestern angeschaut hast.«
    »Wie denn?«
    »Als würdest du mich am liebsten erwürgen. So viel Hass.«
    »Tut mir leid. Ich wollte dich nicht …«
    »Schon gut. Ich hab es wohl nicht anders verdient.«
    »Unsinn. Du hast ein neues Leben, einen neuen Mann, die Zwillinge, und das ist dein gutes Recht. Wenn ich dir deswegen Vorwürfe gemacht habe, tut es mir leid. Ehrlich.«
    »Aber wie hast du es all die Jahre geschafft …«
    »Die Hoffnung war alles, was ich noch hatte.« Er wirft einen letzten Blick auf das Foto von Jamie Donovan und schließt die Akte. Doch das Bild hat sich in sein Gedächtnis eingebrannt, und als er den nächsten Schluck Guinness nimmt, verwandelt es sich in das Gesicht von Maggie. Sie lächelt ihn an, bevor sie sich über die Schulter umschaut. Ein Mann taucht hinter ihr auf, ein unscharfer Schemen. Ian kann ihn nicht erkennen, das Gesicht verschwimmt zu einem Schatten, wie mit einem feuchten Radiergummi ausgelöscht. Maggie schreit, dreht sich wieder um, starrt ihn an. »Hilfe«, sagt sie, »bitte hilf mir, Daddy.«
    »Wie meinst du das?«, fragt Debbie.
    »›Erst nach meinem Tod singst du mir Lieder.‹«
    »Was?«
    »Ach, nichts. Was ist mir denn außer der Hoffnung geblieben, Debbie?«
    »Sag mal, hast du getrunken?«
    »Ich betrinke mich nicht mehr.«
    »Dann bist du trocken?«
    »Nein. Aber ich weiß jetzt, wann ich aufhören muss.«
    Debbie schweigt für eine Weile. Dann fragt sie: »Glaubst du, wir hätten es geschafft, wenn das mit Maggie nicht passiert wär? Glaubst du, wir wären zusammengeblieben?«
    »Nein.«
    »Warum nicht? Es hat doch eine Zeit lang gut geklappt.«
    »Weil irgendwas anderes dazwischengekommen wäre. Wie das Leben so spielt: Erst passiert dies, dann das, dann kommt noch etwas anderes hinzu, und eigentlich ergibt alles überhaupt keinen Sinn. Höchstens im Rückblick. Irgendwas anderes wäre passiert, wir hätten uns getrennt und wären jetzt genau da, wo wir heute sind, jedenfalls so ungefähr. Wir würden uns genauso fragen, was um Himmels willen passiert ist. Dabei ist gar nichts passiert. Das Leben ist passiert, wie es jedem passiert. Zumindest wenn man Glück hat.«
    Nun hört er nicht mal mehr ihren Atem. Absolute Stille.
    »Debbie?«
    »Ich bin so froh, dass sie am Leben ist. Wirklich.«
    »Ich weiß. Aber du brauchtest einfach einen Schlusspunkt, und deshalb hast du einen gesetzt. Und es war ja auch das einzig Sinnvolle, was man tun konnte. In neunundneunzig Prozent der Fälle hättest du recht behalten, schon sieben Tage danach hätte jeder vernünftige Mensch mit dem Schlimmsten gerechnet. Sieben Jahre später konnte nur noch ein Wahnsinniger Hoffnung haben.«
    »Im Ernst?«
    »Im Ernst.«
    Ein Schniefen am anderen Ende der Leitung. »Hast du Jeffrey Bescheid gesagt?«
    »Nein.«
    »Dann ruf ihn an. Du weißt doch, er macht sich immer noch Vorwürfe.«
    »Ich weiß. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er sich über meinen Anruf freuen würde.«
    »Das kann ich dir auch nicht sagen. Aber er muss es erfahren. Du musst ihn anrufen.«
    »Ich liebe dich immer noch, weißt du das?«
    »Leider ist uns das Leben dazwischengekommen.«
    »Ja, das Leben.«
    Nachdem er aufgelegt hat, öffnet er die nächste Akte.

DREI
    Ian biegt rechts in die Crockett Street und fährt Richtung Norden zur Arbeit. Auf dem Weg passiert er die Rollschuhbahn und das Bulls Mouth Theater (wo zerkratzte Kopien von Filmen laufen, die überall sonst schon vor einem halben Jahr aus dem Programm genommen wurden, und der altersschwache Projektor ständig die Tonanlage überdröhnt). Daran schließen sich Filialen von Wok House, Morton’s Steakhouse, Dairy Queen und weitere ähnliche Fresstempel an.
    Dann biegt er links auf die Crouch Avenue und fährt an der Auffahrt zum Interstate 10, der Baptistenkirche und dem Streichelzoo vorbei.

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