Cop
nervös. Normalerweise sagt Beatrice immer, was sie denkt, heute ist es, als hätte sie die Sprache verloren. Was geht in ihr vor? Er wünschte, er könnte in ihren Kopf hineinschauen. Sie muss kapieren, dass er nur getan hat, was getan werden musste. Dass es ihm keinen Spaß gemacht hat, aber dass es nun mal nicht anders ging. Ab und zu muss man ein bisschen Blut vergießen, um zu überleben. Das weiß jeder, der um sein Leben gekämpft hat.
Die Welt ist ein grausamer Ort mit vielen messerscharfen Kanten. Manchmal muss man einen anderen vorschieben, um nicht selber aufgeschlitzt zu werden. Er mag es ebenso wenig wie sie. Doch es muss getan werden, und er hat gelernt, sich damit abzufinden.
Er hat ihren Pick-up gebraucht. Er musste ihn haben, und Flint hatte Verdacht geschöpft. Eigentlich war er von Anfang an misstrauisch gewesen. Henry konnte ihn nicht leben lassen, er hätte die Polizei informiert. Jetzt liegen Flint und seine Frau unter der Erde, und sie haben einen Wagen, mit dem sie die nächsten zwei, drei Tage unbesorgt fahren können. Und in zwei, drei Tagen sind sie längst bei seinem großen Bruder in Kalifornien.
Davor, irgendwo zwischen hier und Kaiser, muss er Ian Hunt loswerden, aber das dürfte kein Problem sein. Vielleicht kann er ihn schon heute erledigen. Er wird ihm unauffällig folgen, aus sicherer Entfernung. Keine große Sache, wenn er ein bisschen aufpasst. Hunt hat keine Ahnung, dass er hinter ihm ist, und dabei wird es auch bleiben. Okay, in West Texas, wo die Straßen leerer und das Land karger ist, wird es nicht ganz einfach, aber er wird es schon hinbekommen. Er wird ihm folgen, wird warten, bis er sich aufs Ohr gehauen hat, und dann wird er ihn ausbluten lassen wie ein Schwein.
Hunt wird bereuen, dass er nicht schon beim ersten Mal gestorben ist.
Und mit Ian Hunt wird er seine letzten Sorgen begraben. Sie werden sich in Kalifornien verstecken, ein paar Monate vielleicht. Dort wird man sie wahrscheinlich in Ruhe lassen, aber sollte die Polizei doch in Rons Haus herumschnüffeln, können sie auf tausend andere Schlupflöcher ausweichen. Ron hat so einiges im Angebot: einen unterirdischen Bunker voller Konservendosen, mit fünfhundert Gallonen Trinkwasser und einem Zweihundert-Gallonen-Wasseraufbereitungssystem. Dazu zahllose verlassene Häuser, in denen er Vorräte deponiert hat. Als sie die Eisenmine dichtgemacht haben, hat es die ganze Stadt wie mit einem Windstoß weggeweht, zumindest hat er das in seinen Briefen erzählt. Jetzt wohnen dort nur noch zwanzig, dreißig Menschen. Das heißt, vor ein paar Jahren waren es so viele. Gut möglich, dass mittlerweile nur noch Ron übrig ist. Kaiser ist voller schattiger Orte, in denen sie problemlos verschwinden können, selbst unter der grellen kalifornischen Sonne. Dort werden sie warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist, und dann geht’s runter nach Mexiko. Oder rauf nach Kanada. Nein, wahrscheinlich eher nach Mexiko.
In Texas die Grenze zu überqueren, wäre zu gefährlich, aber in Kalifornien dürfte es halb so wild sein. Außerdem kann er sich vorher ein bisschen Geld beschaffen. Er will nicht mit leeren Händen in Mexiko ankommen. Sie werden eine Weile brauchen, um sich an das fremde Land zu gewöhnen, aber das ist immer noch besser als die Alternative. Hauptsache er kommt nicht ins Gefängnis. Er kommt nicht ins Gefängnis, und die Familie bleibt zusammen, das ist das Wichtigste.
Aber dazu muss Ian Hunt sterben.
Zweihundert Meilen liegen zwischen Junction und Fort Stockton, Texas. Die Landschaft wandelt sich. Bäume weichen Sträuchern und bescheidenen gelben Blumen, die in trockener Erde und totem Gras sprießen. Wie Geschwüre brechen Hügel aus der flachen Wüste hervor, doch auf die kann der Interstate 10 keine Rücksicht nehmen. Er hat sich seine Bahn mitten durchs Gestein gesprengt, die vielfarbig gestreiften Felswände reichen bis dicht an den Asphalt und, Schicht für Schicht, bis tief in die Vergangenheit. Die letzte Feuchtigkeit verschwindet aus der Luft. Kakteen laben sich an der Sonne, mit ihren dicklichen Auswüchsen winken sie einem vom Straßenrand aus zu, exotische, längst ausgestorbene Tiefseekreaturen mit seltsam rundlichen Flossen. Auf den Erdölfeldern des Permbeckens verrichten altertümliche Förderanlagen ihre Arbeit, Pferdekopfpumpen, die wie prähistorische Vögel am Boden picken, eine bedächtige, immer gleiche Bewegung. Bald ist man allein auf der Straße, bis auf den ein oder anderen Truck mit
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