Cop
vorspringender Schnauze, der von einer Küste zur anderen brettert, der Fahrer hinter dem Steuer mit rot unterlaufenen Augen und vollgepumpt mit Koffein. Ab und zu ein anderer einsamer Reisender. Am Straßenrand liegt ein toter Wüstenhase und offenbart den Vorbeifahrenden sein Innerstes. Auf halbem Weg zwischen Junction und Fort Stockton, irgendwo bei Bakersfield, tauchen in der Ferne riesige Felder mit Windrädern auf, die sich gemächlich drehen, wie Ventilatoren an einem milden Sommertag. In der erbarmungslosen Wüstenhitze bewegt sich alles wie in Zeitlupe, selbst der eigene Wagen, auch wenn die Tachonadel schon länger nicht mehr unter achtzig Meilen pro Stunde gefallen ist. Man fährt und fährt und fährt und kommt doch nirgends an. Bis man plötzlich Fort Stockton erreicht, angekündigt durch einen riesenhaften Roadrunner hinter einer niedrigen Steinmauer, eigentlich ein überdimensioniertes Schild, das einen in der Zivilisation willkommen heißt. Angeblich ist es der größte Roadrunner der Welt, jede Stadt braucht schließlich ihr Wahrzeichen.
Um halb drei fährt Ian Hunt vom Interstate ab. Henry folgt ihm in sicherem Abstand. Er freut sich auf die Pause, er muss dringend raus aus dem heißen Wagen, ein bisschen die Glieder strecken. Sie sind schon stundenlang unterwegs, und langsam macht sich sein Rücken bemerkbar. Außerdem hat Bee gerade zum sechsten oder siebten Mal gesagt, dass sie mal muss, und die Tankanzeige dümpelt auch schon seit zwanzig Minuten auf Reserve. Seitdem befürchtet er, ihnen könnte jeden Moment der Sprit ausgehen, ohne eine Tankstelle weit und breit.
An der Kreuzung von Front Street und Highway 285 biegt Hunt in eine Chevron-Tankstelle ein. Henry entscheidet sich für die Konkurrenz auf der anderen Straßenseite.
Er sieht zu, wie Hunt aussteigt und die Arme reckt. Nein, eigentlich reckt er bloß den linken Arm, den rechten kann er anscheinend nur bis zur Schulter heben. Er dehnt sich und rollt den Kopf im Nacken. In der rechten Hand hält er eine Tasche, die er sich umhängt, als er sich genug gelockert hat.
Was da wohl drin ist? Wahrscheinlich Waffen.
Auf jeden Fall sieht man ihm nicht an, dass er gestern eine Kugel in die Brust bekommen hat. Normalerweise sollte er im Krankenhaus liegen.
Egal. Wenn die Sonne den Horizont berührt, wird er so oder so tot sein. Spätestens wenn die ersten Strahlen der Morgensonne den Himmel beleuchten.
Ein Schwall ätzende Magensäure schiebt sich Henrys Kehle hinauf. Er kramt in seiner Hemdtasche. Leer.
»Kann ich jetzt pieseln gehen?«
»Ja, ja, geh schon. Und nimm Sarah mit, aber pass auf, dass sie mit niemandem redet. Oder nein, lass sie besser hier. Ich geh dann mit ihr, wenn du wieder da bist. Aber bring mir ein paar Rolaids oder Tums mit oder etwas in der Art.« Er zieht eine schweißnasse Fünfdollarnote aus der Hosentasche und reicht sie über die Mittelkonsole.
»Okay.« Beatrice’ Finger schließen sich um den feuchten Lappen, sie steigt aus. »Kann ich auch was zu trinken kaufen?«
»Ja, klar.«
Henry sieht ihr zu, wie sie zum Mini-Supermarkt läuft, eine Mischung aus Watscheln und Hinken. Seit gestern ist sie nicht mehr die Alte, irgendwas stimmt nicht mit ihr. Er muss dringend mit ihr reden, aber nicht vor Sarah. Keine Ahnung, warum, aber wenn Sarah dabei ist, fühlt er sich nie wirklich wohl, und diese Unsicherheit hasst er. Er ist keiner, der gerne über seine eigenen Gefühle und Gedanken spricht, nicht mal unter normalen Umständen. Über alles andere kann er endlos quatschen, in einer feuchtfröhlichen Runde grinst er und klopft den anderen auf die Schulter, alles kein Problem, aber wenn es um seine eigenen Empfindungen geht, bekommt er kaum den Mund auf. Es kostet ihn unglaublich viel Kraft, die Worte verhaken sich in seiner Kehle, sie wollen nicht raus, sie wollen bleiben, wo sie niemand hört. Aber er muss mit ihr reden. Sonst verliert er sie noch, und das will er auf keinen Fall.
Er wirft einen Blick über die Straße auf Ian Hunt, der gerade seinen Wagen volltankt und dabei in die Ferne späht. Für einen Moment glaubt Henry, er würde ihn anstarren. Aber er beobachtet nur den Horizont. Kein Grund zur Sorge.
Ian späht über das Autodach hinweg zur anderen Straßenseite. Dort steht der graue Dodge Ram, ein Pick-up voller Matschspritzer, der anscheinend in der Landwirtschaft eingesetzt wird. Dafür spricht auch der große weiße Werkzeugkasten auf der Ladefläche. Die Heckklappe hängt etwas herunter, sie
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