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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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des Gottes Prajapati, und der war nicht nur Vater der Götter,
sondern auch Vater der Dämonen…
    Opal verbot ihm kategorisch das
weitere Studium der alten Sanskrittexte, als Hyazinths Fragen gegen die
Generalgebote verstießen. Offenbar wünschte der Masterteacher nicht, daß seine
Schüler ohne die sachkundige Hilfe der Lehrkräfte Antworten suchten, die
wesentliche Grundsätze der Lehre von der Großen Umkehr betreffen. Schließlich
ging es Hyazinth doch nur um tieferes Verständnis der Rituale, die den Alltag,
das ganze Leben eines Märtyrers bestimmen.
    Ich glaube an das Alte und liebe
es – hat der Meister Kong Qiu gesagt, und: Nehme ich nicht selbst an der
Opferhandlung teil, so ist es als hätte ich kein Opfer gebracht. Damals hat
Opal ihm diesen letzten Spruch zur Interpretation gestellt, weil Hyazinth sich
vor einer der großen Bekenntnismanifestationen drücken, lieber mit Federchen
und Jade in den Steinpark gehen wollte, statt stundenlang vor dem Kegelturm der
Hohen Exarchie Sprechchöre zu brüllen. Der Sinn dieser Art von Opfer blieb ihm
lange verborgen: Es ging weniger um Inhalt und Dauer der Manifestationen als um
den Gehorsam. Ein guter Märtyrer fragt nicht viel nach dem Sinn des
Altbewährten, er gehorcht.
    Außerdem hieß es, daß der Große
Ehrenmärtyrer sich an den Demonstrationen sehr erfreue. Zu aller Entsetzen
jedoch verabreichte Opal seinem Lieblingsschüler eine schallende Ohrfeige, als
der fragte, wie denn der Erste Exarch   –
von dessen kostbare Zeit doch keine heilige Sekunde gestohlen werden dürfe –
bei diesem infernalischen Krach überhaupt arbeiten könne…
    Er verzieht bei dieser Erinnerung
das Gesicht. Opal Stein war kreidebleich geworden und brüllte ihn zornig an.
Aber unter diesem Zorn schien entsetzliche Angst zu beben, und Hyazinth hat das
nie vergessen, weil er nie begriff, woher die Angst rühren könnte.
    Auch das irrsinnige auf und ab
der Labyrinthbahn läßt ihn heute kalt. Wie ein Gebet spricht er unablässig vor
sich hin: “Ewige Liebe Deva, Bewahrer, Seher und Schöpfer…”
    Immer wieder blickt Hyazinth auf
seinen Mio. Noch über eine halbe Stunde Zeit, kein Grund zur Nervosität, zumal
er sich auf dem Weg von der Gesundheitswache zum Internatsträger noch mit
Liftperlen versorgt hat. Plötzlich durchfährt ihn der Schreck wie ein
schmerzhafter Stich: Die Keimperlen nützen überhaupt nichts! Draußen ist alles
bewölkt, und die Schotten und Türen Weltensteins öffnen sich erst wieder, wenn
die Ochsenkolonnen die Zentralstadt entwölkt haben! Er muß also doch den
Schwebschacht benutzen. Hyazinth flucht ärgerlich. Dann gibt er seinem Mio die
Daten ein und fragt nach der günstigsten Verbindung. Der Mio – einst Mann im
Ohr   – soll vor Jahrzehnten angeblich
wirklich im Ohr getragen worden sein. Holunder will sogar wissen, daß eine
intellektronische Direktschaltung bestand, daß also die Impulse in den
Nervenbahnen genügten, den Mio zu bedienen. Warum man den Mio wieder wie eine
altertümliche Individualzeitanzeige am Handgelenk plazierte, ist Hyazinth
rätselhaft. Das muß doch viel bequemer gewesen sein, als das Ding noch direkt
mit dem Gehirn verschaltet war. Ein kleiner, boshafter Gedanke kommt ihm:
Vielleicht hat der Mio die Funktion des Wächters gestört? Das wäre gut möglich,
denn der Wächter ist offensichtlich auch ans Gehirn angeschlossen.
    Auf einmal stutzt er. Bedeutet
das etwa, daß auch seine Gedanken…? Ausgeschlossen! weist er sich erschreckt
zurück und spricht hastig das zweite Generalgebot. Immer wieder und wieder.
Allmählich kehrt das Vertrauen in die Ordnung seiner Existenz zurück, und er
bringt es sogar fertig, an sein heutiges Shoppingdebit zu denken, das mit
dreißigtausend Korund ungewöhnlich hoch festgelegt worden ist. Wie eine
zusätzliche Prüfung, als solle er vor der Audienz beim Ersten Exarchen    noch einmal Rechenschaften über seine
Wünsche und Sehnsüchte ablegen, noch einmal tief hinabsteigen in die
finstersten Winkel seiner Seele, wo Genußsucht und Gier unermüdlich ihr Werk
der Zerstörung fortsetzen, das mit der Geburt eines jeden Menschen beginnt und
oft noch über dessen Tod hinaus wirkt.
    Der Mio meldet sich mit einem
leisen Quaken und teilt mit, daß für Hyazinth ein Exarch-Kurier bereitstünde,
der ihn durch das verzweigte Netz der Schwebschächte im Kegelturm bringen
würde. Er solle sich vor dem Einstieg Delta einfinden.
    Diese unerwartete Nachricht
hinterläßt einen seltsamen Druck in der

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