Copyworld: Roman (German Edition)
manifestiert. Du kennst das Wort des Meisters: Wer eines
Landes Unglück auf sich nimmt, ist es wert, Herr der Welt zu sein. Du, Hyazinth
Blume sollst einst selbst zu den Herren der Welt gehören…”
Ein Gedanke flammt in Hyazinths
Innerstem auf: Das war ein Wort dieses fremden Meisters, dieses Laudse! Er weiß es ganz genau, denn er saß wohl eine
halbe Stunde wie versteinert, in den Händen die Holzplättchen, und dachte über
die Worte nach. Aber er wagt nicht, den Redefluß des Exarchen zu unterbrechen, auf die Verwechselung
hinzuweisen.
“…du wirst das Unglück der Welt
auf dich nehmen, Hyazinth. Ich gebe dir Gelegenheit, deine Verfehlung zu
sühnen. Dabei wirst du zu einem wahren Märtyrer reifen und letztlich doch an
meiner Seite sitzen und die Geschicke dieser Welt lenken. Aber zuerst müssen
alle Zweifel von dir abfallen wie welkes, krankes Laub vom gesunden Stamm
deines Glaubens an die Lehre…” Korund Steins Stimme ist leise, aber sehr
eindringlich. Eine seltsame Starre überkommt Hyazinth als lähme eine
schreckliche Vorahnung seine Glieder.
“Nein, wir geben dich nicht auf
Hyazinth Blume. Zu viel Hoffnungen haben wir in dich gesetzt und in deine
Fähigkeit zu lügen.”
“Aber das ist doch lange her. Ich
bin kein Lügner mehr!” bricht es aus Hyazinth hervor, sprengt gleichsam die
Versteinerung, die aus ihm einen reglosen Klumpen machte. Kurz blitzt Unwille
auf im Blick des Ersten Exarchen , dann sagt er milde: “Phantasie ist das
kostbarste Gut einer jeden Gesellschaft, sie ist die herausragende Eigenschaft
menschlicher Verstandeskraft. Das freie Spiel mit der Antizipation, mit dem
Möglichen und der Unmöglichkeit, mit dem Wahrscheinlichen und dem weniger zu
Erwartenden, die Fähigkeit des Geistes, eine Unzahl von Varianten zu
modellieren, Abbilder von Nichtexistentem zu schaffen – das ist essentielles
Schöpfertum… Phantasie ist rar in Weltenstein, ich verstehe nicht, warum. Wir
haben die modernsten Schulen der Geschichte, sind frei von materiellen Zwängen
und verfügen über ein Regelwerk, das behutsam ordnend und lenkend den erst
keimenden Verstand vor Verwirrung und qualvollem Zweifel schützt. Der Acker ist
liebevoll bestellt, die Saat hingegen verkümmert…”
Wer die fülle des De bewahrt
gleicht dem kinde…
nichts weiß es von der
geschlechter paarung
doch steift sich sein glied.
Hyazinth weiß selbst nicht zu
sagen, weshalb gerade diese Worte des Laudse aus der Finsternis des Vergessens
aufsteigen, als der Exarch den Mangel
an Kreativität beklagt. Nur dunkel ahnt er die Identität von Zeugung und
Schöpfung, zu fern ist dieses Thema vorerst seinen Interessen.
“… und ausgerechnet du, eine der
wenigen Pflanzen, die sich zu einem kräftigen Trieb entwickelten, du wächst
nicht gerade der Sonne entgegen, sondern krümmst dich unter den Schatten von
Irrtümern und Mißtrauen.…” In Hyazinth beginnt etwas leise zu schwingen, als
Korund zu ihm in Gleichnissen aus dem Pflanzenreich spricht, hatte er doch eher
erwartet, von klarer kristalliner Struktur, mineralischer Formenstrenge, von
symmetrischem Ebenmaß und Härtegraden gepredigt zu bekommen. Unwillkürlich
schließt er sich den Worten auf, bahnt ihnen einen Weg vom Verstand ins Herz
und fühlt eine unbestimmbare Reue in sich aufsteigen.
“…hüte dich, deine Wurzeln aus
dem Boden reißen zu wollen, der dich hervorgebracht, nur weil auch du in dem
Irrglauben befangen bist, über anderem Boden habe die Sonne eine andere Farbe.
Strecke dich lieber dem Himmel entgegen, dann wirst du der Sonne nahe genug
kommen, um all ihre Farben zu verstehen…”
Allmählich gerät Hyazinth in den
magischen Bann dieser Predigt. Das unterscheidet den Exarchen von allen anderen Menschen, denkt Hyazinth
ehrfürchtig, immer findet er die geheime Sprache der Gedanken seines Gegenüber,
und wenn er zu tausenden spricht, dann in Worten, die jeder der tausend
versteht. Hyazinth liebt poetische Sprache. Nur die Poesie ist seiner Meinung
nach fähig, einer Erkenntnis die allumfassendste Dimension zu verleihen. Nein,
sie ist nicht schlechthin Sprache, sondern Denkweise für ihn.
Der Exarch stützt sich schwer auf sein Pult und fährt
fort: “Aber die Sehnsucht soll gestillt werden. So viel liegt uns an dir, daß
wir uns deinen Eskapaden beugen: Du wirst hinausziehen in die Welt und sie
erfahren, und zurückkehren wirst du mit einer Last auf den Schultern, die dich
schier zu Boden drücken wird –
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