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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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der
Märtyrerschule nickt eifrig und wischt den Gedanken entschlossen beiseite, daß
es nicht gerade ehrenhaft sei, die Schmetterlingsexistenz mit einer faustdicken
Lüge zu beginnen.
    Dann erzählt der Erste
Exarch   trocken und fast ein wenig
spöttisch Episoden aus der Menschheitsgeschichte, die Hyazinth durchaus bekannt
sind, vom Großen Ehrenmärtyrer jedoch überraschend neu interpretiert werden.
Namen großer Potentaten, Usurpatoren und Tyrannen purzeln durcheinander und
werden neben denen berühmter Volkstribunen genannt – allmählich ahnt Hyazinth,
worauf der Exarch    hinauswill: Er
polemisiert gegen die seinerzeit von den Besinnlern erwogene Dezentralisierung
der Macht, die jene demagogisch Demokratisierung nannten … als gewänne das Volk
der DTEA mehr Gerechtigkeit und Fortschritt, indem man die in wenigen
sachkundigen Händen konzentrierte Entscheidungsgewalt auf tausende oder
Millionen Menschen aufteilte! Welch ein Unfug!
    Hyazinth nickt altklug zu den
Worten des Exarchen. Jaja, neuerdings regen sich die Besinnler wieder, dem muß
man energisch einen Riegel vorschieben. Was für ein Chaos gäbe das, dürfte
jeder seine unmaßgebliche Meinung vortragen, wozu nähmen dann die Märtyrer und
ihre Nachwuchskader all die Entbehrungen einer harten Lehrzeit auf sich, wenn
hinterher andere für gut oder schlecht befänden, was nur ein Märtyrer richtig
oder falsch zu nennen vermag?
    “… und daher müssen unsere Ideale
Disziplin, Gehorsam, Leistungswille und die Fähigkeit, sich einzuordnen, sein.
Die Denker, welche wir dringend benötigen, erziehen wir uns, ohne daraus ein
großes Spektakulum zu machen, denn nicht jeder kann und darf ein Denker werden.
    Wissenschaftler, Dichter und
Philosophen scheiden von vornherein aus, wenn es um die Schaffung von Idolen
geht, denn zu Männern des Geistes hatte das Volk nie das rechte Vertrauen, es
fürchtet die Macht der unsichtbaren Kräfte, der geheimnisvollen
Wirkungen… Es will etwas bewundern, was man sehen, hören, schmecken oder
anfassen kann. Deshalb bevorzugt es einfachste Kriterien zur Wahl seiner
Helden, Maßstäbe aus seinem eigenen Erlebnisbereich, Werteskalen, an denen es
sich selbst ohne Komplikationen messen kann.
    Früher bedienten sich die Führer
einer Nation bisweilen der absurden Methode, Sportler oder
Unterhaltungskünstler mit Orden oder Auszeichnungen zu dekorieren, die die
wahren Helden ihrer Zeit sich mit unbeschreiblichen physischem oder seelischem
Leid verdient hatten, das sie im Kampf für ihre Ideen zu erdulden hatten. So
wurde ein qualitativ neues Heldentum begründet: Nicht mehr der Kampf gegen
Unvollkommenes war die große Tat, sondern der vom Gehorsam geleitete
Leistungswille, nicht der Widerstand also, sondern Disziplin und Treue. Das
konnte nicht gutgehen. Das Ziel war gut, der Weg grundverkehrt: Ehemalige
Sportidole und Rocksänger saßen plötzlich vor Ministerschreibtischen, hatten
ein sachliches Kenntnisdefizit von zehn oder mehr Jahren, außerdem war das Volk
ihrer längst überdrüssig, weil ihre Gebrauchswerteigenschaften als Idole durch
allzu heftigste Handhabung oft schon verschlissen waren, bevor die jeweiligen
Individuen den Höhepunkt ihrer Popularität erreicht hatten. Von diesem vorzeitigen
Verschleiß durch ungeschickte propagandistische Materialveredelung blieben
nicht einmal prominente Raumfahrer oder Volksbefreiungshelden verschont.
    Nach Auswertung dieser bitteren
Erfahrungen bin ich nun zu dem Schluß gelangt, daß wir das gedankliche Prinzip
vom Kopf auf die Füße stellen müssen: Anstatt eine Verkümmerung relevanter
Fähigkeiten als Preis für eine mehr denn fragwürdige Popularität unserer Idole
hinzunehmen und sie zu qualifizieren, wenn es längst zu spät für die effiziente
Entwicklung eines Führungskaders ist, müssen wir unseren besten, ausgewählten
Zöglinge der Märtyrerschule zu öffentlichem Ansehen verhelfen. Und deshalb,
Hyazinth Blume, sollst du das neue Idol der Sigmatänzer werden! Während du zwei
Jahre bei Choreut Desmin die Kunst erlernen wirst, deinen jungen Leib kunstvoll
zu verbiegen, werden wir dafür sorgen, daß exakt zu jenem Zeitpunkt, da du den
ersten Fuß auf Szingolds Boden setzt, eine wahre Sigmatanzhysterie ausbrechen
wird. Was heute eine kulturelle Randerscheinung unserer Gesellschaft ist, wird
dann der Inbegriff aller Kunst schlechthin sein. Du wirst ein Meister der
Tanzkunst sein – schüttle nicht ungläubig den Kopf! – und für die Idee von der
Großen Umkehr das

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