Copyworld: Roman (German Edition)
der Nase
bohrte, mit derselben Geste den kleinen Finger betrachtete und ihn – bedächtig
jede Bewegung kopierend – sorgsam ableckte…
Von nun an empfand er eine
gewisse Freude beim Erlernen des Tanzalphabetes. Die Erkenntnis der Welt
mithilfe künstlerischer Mittel wurde zu einem aufregenden Abenteuer, dem sich
sein wissenschaftlich determinierter Verstand mit Leidenschaft hingab. Rasch
erwarb er die Fähigkeit, eine Sache auf ihr Wesentliches zu reduzieren und dies
zum Substrat für eine künstlerische Gestaltung zu formen. Sein Denken
veränderte sich unmerklich. Wo er früher nach exakt reproduzierbaren
Algorithmen forschte, suchte er nun mit ebensolchem Eifer die vielfältigen
Erscheinungsformen der Wahrheit zu ergründen, den Sinn jeder einzelnen
Ausbildung des Grundprinzips zu erfassen. Irgendwann wurde ihm klar, wie
unsinnig die gedankliche Trennung zwischen wissenschaftlicher und
künstlerischer Methodik ist, daß deduktive Erkenntnis ohne das Wissen um die
Prinzipien der Induktion nie Wahrheit zutage fördern kann – und er stellte sich
erstmals die gefährliche Frage, ob nicht auch die logische Umkehrung dieser
These notwendig sei, ob nicht exzellentester Rationalismus unfruchtbar bleiben
muß, verschließt er sich den unvernünftigen Wegen des Gefühls.
Manch einer gelangt nie ans Ziel der langen
Wanderung vom Jüngling zum Mann. Hyazinth durchmaß diese Strecke mit wenigen,
raumgreifenden Schritten, nachdem er ein halbes Leben auf der Stelle trat. Oft
dachte er an sein langes Gespräch mit dem Ersten Exarch, und längst war ihm bewußt, Strafe und Gnade
verwechselt zu haben: Die übermenschliche Weisheit Korund Steins hatte ihm den
Weg zur wahren Bestimmung geebnet…
Federchen quietscht vergnügt,
als er nach dem Platinkettchen greift.
Die Fadenschaumspinne ist noch anhänglicher geworden, seit er ihre Dienste
nicht mehr beanspruchen muß. Zwischen ihren Lippenwülsten funkeln farbige Blitze,
und Hyazinth weiß nun sogar die Gesten seiner kleinen, außerirdischen Gefährtin
zu deuten, nachdem er erlernt hat, die Erscheinungsweise von Menschen zu
entschlüsseln: Federchen droht ihm, sie will wieder bocken und wie ein Irrwisch
durch den Sigmapalast huschen, wenn er sie noch einmal an ein Stuhlbein kettet.
Sie versteht durchaus einiges von dem, was er ihr sagt – auch sie hat gelernt.
Und manches Mal hat er sich die Frage vorgelegt, ob sie nicht vielleicht doch
über etwas ähnliches wie Vernunft verfügt – weshalb zum Teufel soll es so selbstverständlich
sein, daß Verstand sich nur in Strukturen realisieren kann, die denen des
Menschen gleichen?
Seit er dank des Zöloplanenzyms
die widerlichen Wachsschuppen los ist, verhält Federchen sich wie eine
verschmähte Bettgefährtin: Sie zischelt ärgerlich, wenn er sie alleine läßt,
kaum aber gönnt er ihr seine Aufmerksamkeit, überfällt sie ihn mit allen nur
erdenklichen Verführungskünsten. Sie weiß genau, was er mag: Zwischen ihren
flatternden Lippen läßt sie ein Feuerwerk von fremdartigen Gedanken flammen,
und wenn er sie nicht versteht, quakt sie wie ein Frosch – errät er ihre
einfachen Worte jedoch, zirpt sie mit markerschütternder Zärtlichkeit.
Wölkchen hingegen ist immer noch
die alte: Mürrisch, launisch und gräßlich dumm. Allerdings meint Hyazinth seit
einiger Zeit, Anzeichen für eine seltsame Eifersucht auf Federchen entdeckt zu
haben – wenn die Fadenschaumspinne sich nachts an seinem Fußende zu einer
flauschigen Kugel zusammenzieht, knurrt und ächzt die Wollbauchechse beleidigt.
“Du machst heute keinen Stunk,
klar?” mahnt er Federchen, nachdem er sie auf seine Schulter hinabgezogen hat.
“Mein Federchen, ich liebe dich mehr als alle Weiber auf dieser verkorksten
Welt – aber nur, wenn du parierst. Verstanden?” Die Fadenschaumspinne stößt
einen lieblichen Triller aus, und sogleich weiß Hyazinth, daß es die
unverfrorenste Heuchelei ist. Sie wird Stunk machen! Sie wird kreischend und
zeternd durch den Saal flattern und erst Ruhe geben, wenn sie mit ihm tanzen
darf. Das kleine Luder schaffte es immer wieder, mit den elektrischen
Entladungen ihres Plasmaorgans die Glieder der Platinkette zu durchschmelzen.
“Gut”, lenkt er ein, “laß mich
aber erst die Ouvertüre zu Ende tanzen, und dann machen wir die Seifenblase,
ja?” Federchens Lieblingstanz. Aber auch das Publikum mag es, wenn er den
Dreijährigen darstellt, der verzückt nach den schillernden Kugeln hascht, die
aus dem
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