Copyworld: Roman (German Edition)
von allen geliebt und gelobt zu werden … vielleicht Tagetes? Den Dicken
hatte er oft gehänselt, zwar mehr im Spaß, aber Bruder Tagetes war sehr
empfindlich.
“… da muß ich ja wirklich dankbar
sein, daß du mir nicht den Kalk vorwiegst, der mir aus dem Schädel…”
Aha – die Frau mit dem länglichen
Gesicht und dem Kurier-Stirnband. Hyazinth lachte trocken auf; offenbar kennen
Kuriere nicht nur jedes Geheimnis, sondern verbreiten es ebenso schnell wie sie
Kenntnis davon erlangen. Beryll mißverstand das Lachen anscheinend.
“… das Lachen wird dir noch
vergehen”, fuhr er mit erzwungener Ruhe fort. “Es gibt Welten, in denen dir
selbst der mächtigste Beschützer nicht mehr helfen kann… Na gut, lassen
wir das. Unser allseits verehrter und geliebter Undsoweiter hat mich
beauftragt, dich mit Copyworld vertraut
zu machen…”
“Du meinst sicher unseren
allseits geschätzten und geliebten Ehrenmärtyrer und Ersten Exarchen Korund Stein!” warf Hyazinth spitz ein.
“Ja, natürlich, wen sonst?”
Beryll schien für einen Augenblick irritiert, dann aber begriff er, und er
hatte plötzlich einen Ausdruck im Gesicht, als lauere er gespannt darauf, daß
ihn jemand von hinten anspränge. Sein Gesprächston wurde jetzt sehr sachlich.
“Ja, natürlich sprach ich von
unserem allseits geschätzten und geliebten Großen Ehrenmärtyrer, Bewahrer,
Seher und Schöpfer, von unserem ewig verehrten Ersten Exarchen Korund Stein… du mußt verstehen, daß wir
Mitarbeiter der Hohen Exarchie –” dabei betonte er ausdrücklich die letzten
fünf Wörter, “ – eine praktikable Kürzelsprache für den Dienstgebrauch
entwickelt haben, eine Art Jargon, dessen Termini in keiner Weise eine
Herabwürdigung der bezeichneten Personen oder Dinge bedeuten.”
Hyazinth grinste frech. Winde
dich nur, du Wurm! dachte er mit Wohlbehagen, aber paß auf, daß du dir keinen
Knoten in den Schwanz redest. Der Oberste Projektant übersah das unverschämte
Grinsen geflissentlich.
“Komm, Hyazinth Blume, es ist ein
weiter Weg bis in das Cephalon von Copyworld , und wundere dich nicht, daß wir
uns auf den Weg zu Hölle machen, um die Schaltzentrale des Himmelsreiches auf
Erden zu finden.”
Eine knappe Stunde später
verstand Hyazinth die rätselhafte Anspielung. Sie waren mit der Labyrinthbahn
kreuz und quer durch Weltensteins Kelleretage gefahren und schließlich, nach
dem Passieren mehrerer strenger Kontrollen, in einen Bereich geraten, der weit
unter dem Erdboden liegen mußte und Hyazinth völlig unbekannt war. Hier gab es
nur noch düstere, weil spärlich erleuchtete Korridore, numerierte Türen und
Menschen in schlichten Overalls, die lediglich durch Buchstaben- und
Ziffernchiffres gekennzeichnet waren. Aber dies war längst noch nicht das Ziel
ihrer Reise.
Hinter einer Tür, die sich
äußerlich nicht von den anderen unterschied, befand sich zu Hyazinths großen
Erstaunen ein Raum, der beinahe wie die Einstiegsschleuse zu einer
Labyrinthbahn wirkte. Er vernahm ein leises Fauchen, die Schotten in der
Vakuumröhre öffneten sich und gaben den Weg in eine stinknormale Kabine frei.
Beryll fläzte sich in einen der
Sitze und sagte: “Mach es dir bequem, Wunderknabe, die Reise beginnt jetzt
erst.”
Inzwischen hatte sich Hyazinth
dazu durchgerungen, diese ironische Anrede zu tolerieren, denn sie hatten eine
stille Vereinbarung geschlossen. Die ganze Zeit über hatte Beryll vom Projekt
Copyworld erzählt, dabei – anfangs zwar
mit Stöhnen und Grimassenschneiden, später jedoch mit wachsender Neugier und
hin und wieder gar mit sichtlichem Wohlwollen – Hyazinths Fragen gründlich und
anschaulich beantwortet.
“Ihr habt in der Märtyrerschule
auch über Arthur Schopenhauer gesprochen, und die wenigsten von euch werden
begriffen haben, wozu man sich mit dieser vermeintlich unsinnigen Lehre
befassen soll, nicht wahr?”
Hyazinth hatte den Kopf
geschüttelt. “Seine Ethik des Mitleids habe ich gut verstanden, er leitet aus
der Wesenseinheit alles Organischen die Pflicht ab, weder Mensch noch Tier ein
Leid zuzufügen – das ist ein vorweggenommener Märtyrergrundsatz. Überhaupt war
Schopenhauers Ethik dem neunzehnten Jahrhundert weit voraus, und er sich dessen vollauf bewußt. Deshalb sagte
er wohl: Nicht den Zeitgenossen, der Menschheit übergebe ich mein nun
vollendetes Werk.”
“Das ist richtig, aber auch nur
der Rahmen seiner Bedeutung. Erinnern wir uns an die Anfänge, das Sein
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