Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
Vom Netzwerk:
in dem Buch. Des Richters Dolch hatte
diesen Vers für Andorgas gefunden:
    Zwischen Schwert und Feuer sollst
du wählen.
    Flammenhitze wird dich quälen,
    hast du die falsche Wahl getroffen.
    Auf blanke Klinge darfst du
hoffen,
    wenn du errätst, was dir
bestimmt,
    welch’ Mittel dir das Leben
nimmt...
    Die dreizehn Spruchrichter
steckten die Köpfe zusammen und tuschelten, Spruchrichter Goor redete heftig
auf die anderen ein, der Federrichter schrieb etwas mit einem Greifenkiel auf
die Rückseite des Blattes und riß es aus dem Buch, um es erneut dem
Dolchrichter zu übergeben.
    Der nickte zufrieden, trat zu
Andorgas und legte ihm die Hand auf die Brust. Die Richter hatten sich geeinigt
und ihren Spruch niedergeschrieben. Jetzt war es an Andorgas, ihn zu erraten.
Gefesselt stand er zwischen den beiden Schwertrichtern. Die Zeit von
dreiunddreißig Herzschlägen blieb ihm für des Rätsels Lösung. Unbestechlich
zählte der Dolchrichter das dumpfe Pochen unter seinen Rippen...

 
    Zart und schwach ist des menschen
leib
    wenn er eben geboren
    starr und hart aber wird er im
tode…
    so sinkt in die niederungen das
starke und große
    indes das zarte und schwache die
höhen erklimmt
                                Laudse
(Daudesching, Kap. 76)
    _____________________________________________

 
    Kapitel 12
    Der
Dämon tanzt

 
    Eine dunkle Nische hatte Hyazinth
sich in die Welt gemeißelt, in zäher und geduldiger Arbeit, um sich dort wie
ein Einsiedlerkrebs verkriechen zu können. Aber das Schicksal riß ihn roh aus
der Geborgenheit seiner kleinen Höhle, zerrte ihn in die Strudel des
vorbeiströmenden Lebens mitten hinein.
    Inzwischen hat er gelernt zu
schwimmen.
    In Szingold ist alles anders.
Obgleich er während unzähliger Aufenthalte in der Perzeptorzelle die Stadt mit
den Augen der Berichterstatter sehen konnte, hat das Erlebnis der Wirklichkeit
ihn anfangs tief beunruhigt. Kein Mensch verwendet hier auch nur einen
erwähnenswerten Bruchteil der Zeit auf die Gestaltung seiner äußerlichen Erscheinung,
wie es in Weltenstein die Norm ist. Das morgendliche Bleichen des Gesichts ist
alles, was die Szingolder sich gönnen, Edelsteinschmuck wird zwar ungläubig
bestaunt, aber ebenso ratlos belächelt. Hin und wieder sieht man winzige
Broschen und Ringe aus Zinn und eingelegten Goldintarsien – aber meist nur zu
offiziellen Anlässen. Seltsam schien Hyazinth zu Beginn, daß er kaum Bürger mit
genetischen Defekten zu Gesicht bekam, und er hatte eine hitzige Diskussion mit
seinem EXA-Verbinder, der ihn monatlich aufsucht, um Instruktionen zu
übermitteln und Berichte entgegenzunehmen. Coromandel Mazarin ist eine sehr
hübsche Frau, Kurier im Sonderdienst und von solch abweisender Kälte, daß
Hyazinth sofort den Gedanken vergaß, auch sie könne von Sirrah manipuliert sein.
Kühl hatte sie auf seine heftigen Fragen geantwortet, Szingold ein
Schwerpunktgebiet psychischer Erkrankungen, ihm müsse dies doch bekannt sein.
Und als er einwandte, die Leute hier seien durchaus etwas merkwürdig bis hin
zur Absonderlichkeit, hingegen aber von seltener Herzlichkeit,
Aufgeschlossenheit und schöpferischem Tatendrang – da wies sie ihn in
schärfsten Ton darauf hin, Analysen solcher Art seien Aufgabe gründlich
geschulter Fachleute und er habe sich gefälligst auf seine Pflicht zu besinnen.
Er hatte nur nachdenklich auf den funkelnden Chrysoberyll im Samtschwarz ihres
Stirnbandes geschaut und geschwiegen. Wenige Tage später war der Vorfall
vergessen.
    Hyazinth tritt vor den Spiegel
und mustert sich aufmerksam. Nur noch wenige Minuten, und er wird wie jeden
Abend im perlmuttschimmernden Trikot die Sensorfläche des Sigmapalastes
betreten. Tausende warten auf ihn, um ihm zuzujubeln und sich an ihm zu messen,
Dutzende kräftezehrender Tanzduelle wird er austragen, den Saal unter seinen
Willen zwingen und erst mit dem letzten Takt in die Erlösung von Aufatmen und
Stöhnen, Lachen und Weinen, Brüllen und Schweigen entlassen…
    Sein ehemals wohlproportionierte
Gesicht ist schmal geworden in den vergangenen zweieinhalb Jahren, die Konturen
der einst vollen, prallen Lippen sind unter der weißen Schminke nur noch zu
ahnen, und seit er nicht mehr die Iris färbt, wirken seine Augen seltsam stumpf
wie die einer antiken griechischen Plastik. Von den dicken, filzigen Kringeln
seines Haares ist nur noch die Farbe verwitternder Buchenrinde geblieben, die
wie dünner Schorf seine Kopfhaut bedeckt. Der Körper ist

Weitere Kostenlose Bücher