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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Ealthea dir in irgendeiner Weise drohen
sollten, findest du in Andorgas, dem Ältesten des Geschlechtes Berulf, immer
einen treuen Freund! Wenn’s gegen diese Götter geht, die um die Welt raufen wie
Hunde um einen alten Knochen – ich bin an deiner Seite!”
    Zuerst ist es Derek unangenehm,
daß der Thar so unvermittelt zum du überging. Es verunsichert ihn, denn
obgleich sie sich in den letzten Tagen immer näher kamen, wuchs damit auch
Dereks Achtung vor dem Waffenmeister der Thar. Trotz des bisweilen recht
ungewöhnlichen Benehmens für einen Mann von fürstlichem Geblüt. Nur Curdin
hatte ihm bisher solch einen Respekt abgenötigt.
    “Was ist nun? Marschieren wir
gegen die Götter, ist Rorik erst besiegt?” Andorgas grinst breit.
    “Du sagtest vorhin: Nenn’ ihn
nicht einen Feigling.” Derek versucht schnell, ein anderes Thema zu finden.
Dieser Klotz von einem Thar würde tatsächlich sein furchtbares Hackschwert
gegen Ealthea erheben. Nicht auszudenken! Selbst der größte Ketzer Seemarks
spürt eisigen Frost im Nacken bei dieser Vorstellung...
    Andorgas knurrt: “Er war vom
Blute Gobeddas. Und ich habe ihn entehrt. Das Gericht konnte nicht anders
entscheiden…”
    “Sprich weiter, Andorgas – was
rettete dir das Leben?”
    Andorgas hatte in den zurückliegenden
Tagen nur wenig Lust gezeigt, über die Vergangenheit zu reden. Der
ungeschlachte Rotbart wurde immer erst dann so recht lebendig, wenn es um das
Morgen ging. Stand das Heute oder gar das Gestern auf dem Zeremonienplan,
schloß Andorgas Augen und Ohren und öffnete den Mund nur, um dem Wein einen Weg
in seinen Leib zu bahnen. Diesmal aber scheint es fast, als hätte er darauf
gehofft, endlich die Geschichte von seiner wundersamen Rettung weitererzählen
zu dürfen.
    “Das Gericht sprach den einzig
möglichen Spruch: Mein Leben war verwirkt. Und doch hatten wohl alle siebzehn
Richter irgendwie begriffen, daß der   gefährliche Fall eingetreten war, wo die Macht des Wortes gegen den
Augenschein der Wirklichkeit stand: Das Wort, die Idee vom Geeinten Reiche Tsalla
forderte meinen Tod – die Lage des Reiches aber verlangte nach einem fähigen,
entschlossenen Heerführer, nach einem, der nicht nur an Muskelkraft, sondern
auch an Stärke des Geistes Berulfs Erbe war…
    Und dieser Mann war ich, Erzherr
Andorgas, und kein anderer! Du wirst solcherart Selbsteinschätzung vielleicht
selbstgefällig nennen. Du bist ja fast noch ein Kind. Wie meine Damma. Ein
pausbäckiges Kind, das in Soldatenstiefeln über Leichenberge klettern muß. Du
kannst nicht wissen, was ein altes Leben weiß. Du bist klug, du bist ebenbürtig
einem Gott, so wie wir Menschen uns die Götter denken – aber du bist ein Kind.
Wenn ich vom Dienst an meinem Volke spreche, so ist es: Ich beuge meinen Nacken
unter Qualen, die ein jeder leidet, der auf Tsalla lebt. Wenn du vom Volk als
deinem Bruder redest, so sprichst du wie der reiche Bruder von dem armen, wie
der Vormund von dem Mündel, wie der Vater von dem Kind! Du meinst, es sei
Ehrlichkeit... Ich möchte gern glauben, daß du von der Lüge wirklich noch nicht
gekostet hast. Wer erst einen Tropfen davon mit Genuß getrunken, der wird
weiter saufen, bis seine Seele unter ihrer teuflischen Macht zu stinkendem
Eiter zerflossen ist.”
    “Ich hoffe also, es ist nicht
solcher Eiter, was mir jetzt entgegenfließt”, entgegnet Derek gelassen.
Andorgas grinst schwach.
    Dann fährt er fort.
    Jeder der siebzehn Richter mußte
ihn schuldig sprechen, das Todesurteil war nicht zu verhindern. Aber das Gesetz
des Geeinten Reiches Tsalla ließ ihm ein Schlupfloch offen. In seinem Falle
durfte der Verurteilte verlangen, daß ihm das Letzte Rätsel aus dem Buch des
Todes   gestellt wird.
      Streng bewacht von dreiunddreißig Kriegern,
liegt das uralte Buch im Schrein der Schwertes Thar verwahrt. Und nur einen
einzigen Sinn haben seine Worte: Wer eines seiner Rätsel löst, darf den Weg
selbst bestimmen, der ihn in die Finsternis unter der Welt führen soll. Das ist
die einzige Gnade, die das strenge Gesetz der Thar dem Verurteilten gewährt.
Und das auch nur, wenn er ein Krieger ist und seine Ehre nicht verlor durch
sein Verbrechen.
    Tausend Todesrätsel sind in das
Buch geschrieben. Der Dolchrichter stößt mit einem Stilett hinein, zwischen
seine Seiten. Dann wird die Stelle aufgeschlagen. Herausgerissen wird die Seite
und verbrannt, wenn laut der Vers verkündet und die Antwort gegeben wurde - und
doch sind immer wieder tausend Seiten

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