Copyworld: Roman (German Edition)
zuneigen, “sondern
forderten Revision erstarrter Denkstrukturen, Reformen zum Zwecke der
Dynamisierung unseres Seins und Bewußtseins – oder habe ich das Referat des
Masterteachers mißverstanden?”
Der Hinweis auf Opal Stein sollte
ihn legitimieren, aber stattdessen knurrte Beryll: “Offenbar hat Opal einiges
mißverstanden…” Dann fuhr er fort: “Die Besinnler behaupteten, Unsterblichkeit
physisch-biologischer Natur sei weniger Segen als Unheil für die Menschheit.
Über Digitalisierung wurde damals gar nicht debattiert. Ewiges Leben in einem
biologischen Körper hätte die unendlich währende, tiefe Angst vor dem Tod zur
Folge, der durch Unfall oder Krankheit eintreten könnte. Die Menschen würden in
ihrem Bestreben, jegliches Risiko zu minimieren, letztlich zu Komplexen aus
zahllosen medizinischen Geräten und Sicherheitsmechanismen werden, in deren
Innern irgendwo ein winziges Menschlein hockt, das nicht wagt, die Nase aus
seiner Festung zu stecken. Welch ein Blödsinn – wir sind längst in der Lage,
schwerste Zerstörungen organischer Materie zu beheben: Selbst wenn man einen
Menschen buchstäblich in zwei Hälften hacken würde, könnten wir ihn wieder zum
Leben erwecken! Alle diese reaktionären Parolen hatten ihren Ursprung lediglich
darin, daß die Besinnler dem neuen Denken die ihm gebührenden Machtpositionen
verwehren wollten. So einfach ist das!”
Beryll hatte sich in Hitze
geredet, aber Hyazinth dachte irritiert an die Audienz beim Exarchen: an die medizinische Kontrolle, das Labyrinth
aus Panzerglaswänden, die gepanzerte Pforte…
Hatten die Besinnler denn nicht
recht gehabt? Wenn das sterblich kurze Leben eines so wertvollen Menschen mit
solch imponierendem Aufwand geschützt werden muß – würde ein ewiges Leben nicht
unvergleichlich mehr Sicherheit und Kontrolle verlangen? Würde die Furcht vor
dem, was Sterblichen letztlich unausweichliche Gewißheit ist, den Unsterblichen
nicht mit lähmendem Entsetzen plagen? Würde jemand von einer Explosion in
Moleküle zerrissen – wie wollte man diesen ins Leben zurückrufen? Galt die
Warnung der Besinnler denn nicht eher jenen, die in der Existenz an sich Sinn
und Zweck eines Lebens sahen, dabei aber vergaßen, daß eigentliches Menschentum
sich in der schöpferischen Aktivität realisiert? War es nicht so, daß Arthur
Schopenhauer es endgültig formuliert hatte: Die Tropfen müssen stürzen, damit ein Wasserfall zustande kommt?
Hyazinth wurde schwindlig bei dieser Erkenntnis, und fast war er soweit,
endlich das geheime Wesen des Martyriums zu begreifen.
“… waren die Einwände der
Besinnler damals zumindest noch als – vereinzelt ehrlich gemeinte – Sorge um
unsere Zukunft interpretierbar”, fuhr Beryll mit Leidenschaft fort, “so ist der
Widerstand ihrer heutigen Apologeten gegen das Projekt Copyworld geradezu lächerlich!”
Widerstand! Hyazinth horchte auf.
Wie kann es so etwas geben: Hatten diese Leute nie etwas von den Generalgeboten
gehört?
“Dein Denkfehler ist entschuldbar,
Wunderknabe, denn du hattest nie Gelegenheit, den wahren Sinn von
Copyworld zu erkennen – diese verdammte
Renegatenclique aber hat sich aus höchsten Projektantenkreisen konstituiert!
Diese Leute wissen Bescheid und können oder wollen die Großartigkeit unseres
Werkes nicht begreifen!”
Jetzt war Beryll unverkennbar
wütend. Hyazinth hütete sich, den Obersten Projektanten mit Fragen oder gar
Zweifeln zu unterbrechen – zu aufregend waren die Neuigkeiten, die Beryll im
Eifer seiner Rede ausplauderte.
“Alle vergessen sie eines:
Projekt Copyworld ist nicht schlechthin
der Übergang von einer Existenzsphäre in die andere – Unsterblichkeit im
Copyworld ist etwas qualitativ gänzlich
anderes als die Bannung des physischen Todes! Alles, was du fragtest, war ein
Beweis für dein entwickeltes Denkvermögen, Wunderknabe. Aber auch du – und
warum du nicht, wo höchstrangige Spezialisten versagten – hast eine bedeutsame
Winzigkeit außer acht gelassen. Natürlich sind einem normalen Menschenverstand
klar definierte Grenzen gesetzt, aber Copyworld bietet die wunderbare Möglichkeit, den menschlichen Geist schier
unendlich zu potenzieren! Die Digitalisierung ist weiter nichts als die
Übersetzung biologischer Strukturen in einen intellektronischen Basiscode –
aber diese Chiffre ist nun beliebig veränderbar, sie dient lediglich als
Ausgangsgröße: Das Gedächtnis eines Digs ist dank der Speicherkraft von
Copyworld
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