Copyworld: Roman (German Edition)
Milliarden
Menschen betrafen. Offenbar war Beryll mit dieser Reaktion sehr zufrieden.
“Ich habe ein reichliches
Geo-Kontingent. Damit werden die schulischen Leistungen honoriert: Schlechte
Schüler dürfen nicht Geo spielen, werden dafür in der Perzeptorzelle mit
Lernprogrammen drangsaliert – gute bekommen leistungsabhängig Geostunden. Ein
feines Spiel, schöner als Schach… Ohne Geschichtskenntnisse hat man überhaupt
keine Chance: Als der Zufallsgenerator Narziß und mich in die Zeit der
Punischen Kriege schickte und die Aufgabe formulierte, jeder von uns solle
einer der beiden Parteien durch eine Erfindung zum Sieg verhelfen, die innerhalb
der nachfolgenden hundert Jahre gemacht wurde – da saß ich schon in einer
römischen Liburne, um Karthago den Untergang zu bringen, als Narziß am Bosporus
verzweifelt auf und ab wanderte, um Xerxes zu finden. Hahaha! Dieser Esel hat
den Perser mit Hannibal verwechselt. Aber ich wollte eigentlich etwas anderes
sagen, verzeih meine Geschwätzigkeit: Ich meinte, daß ich mich in
Weltsimulationen gut auskenne und zurechtfinde. Es bereitet mir keinerlei Mühe,
eine mittelalterliche Pestepidemie zu überstehen, weil ich weiß: Es ist nur
eine Simulation, trotz aller Determiniertheit der Kulisse – ich stehe doch
letztlich außerhalb dieser Welt, durchstreife sie wie ein unbesiegbarer Recke,
obgleich mich der Faustschlag eines Schildknappen unweigerlich zu Boden streckt
und ich den Schmerz äußerst körperlich empfinde. Selbst wenn mir ein Burgvogt
den Schädel von den Schultern schneidet: Ich weiß bei allem Entsetzen, daß ich
in der Perzeptorzelle liege und völlig unversehrt bleibe.
Alles ist ein aufregendes Spiel
und nichts weiter. Wie ist das nun mit der Schopenhauerwelt? Sie kann doch
nicht auch nur ein – zwar gewaltiges, aber letztlich ebenfalls begrenztes –
Spiel sein!”
Beryll runzelte die Stirn und
brummte: “Also doch nichts begriffen – na gut, es ist ja nicht so leicht…” Die
Enttäuschung in seinen Worten kränkte Hyazinth ein wenig, und die anfängliche
Abneigung gegen den Obersten Projektanten stellte sich wieder ein, schließlich
hatte Hyazinth nur gefragt, keinerlei Spekulationen geäußert oder gar Theorien
entwickelt. Eine Frage kann niemals Aufschluß darüber geben, ob jemand etwas
verstanden hat oder nicht, denn sie wurde möglicherweise formuliert, um
Irrtümer auszuschließen oder auf zwar abwegige, nichtsdestotrotz aber
interessante Aspekte eines Problems zu verweisen. Natürlich gibt es kluge und
intelligente Fragen – dumme hingegen gibt es nicht, weil der Gefragte nie weiß,
aus welcher Intention er um Antwort gebeten wurde. Beryll ist ein miserabler
Pädagoge, dachte Hyazinth mit einigem Hochmut und folgte den weiteren
Erklärungen wenig konzentriert.
“Erstens: Der Dig liegt nicht in
einer Perzeptorzelle, denn die körperliche Hülse seines Bewußtseins wird
eliminiert. Es gibt keinen Weg zurück in unsere Realität der biologisch
determinierten Sachzwänge: Welchen Sinn hätte es, den Leib – der ohnehin
irgendwann den Weg alles Irdischen gehen muß – noch Jahrzehnte lang am Leben zu
erhalten? Er ist doch nur das Trägermaterial, das Gefäß, die Verpackung! Die
Besinnler sprachen von der Vernachlässigung der Dialektik zwischen Sein und
Bewußtsein und predigten unablässig, menschlicher Geist sei durch seine
Evolution geprägt und vorherbestimmt, ohne biologische Komponente also sinnlos.
Das ist ein einzigartiger Schwachsinn! Die soziologische Determiniertheit
menschlicher Vernunft ist entschieden stärker, sie wird nur nicht wahrgenommen,
weil sie noch nicht in Widerspruch mit der nächstfolgenden Qualität geraten
ist. Wir empfinden hingegen das Eingebundensein in hormonelle, genetische oder
reflexive Mechanismen nur deshalb so intensiv, weil diese Regulative zu
nachfolgenden Evolutionsprinzipien und -resultaten in Gegensatz geraten sind,
das weitere Tempo der Entwicklung hemmen, reaktionär geworden sind!”
Unwillkürlich nickte
Hyazinth zu diesen Worten, sein
Interesse war wieder erwacht, der Groll verdrängt. Diese neoposthegelianische
Denkweise liegt ihm, obgleich sie von Opal ausdrücklich als längst überwundene
Vorstufe der Lehre definiert wurde. Sie hat in ihrer Klarheit etwas von der zum
absoluten Gehorsam zwingenden Disziplinierung des Geistes durch metaphysische
Denkmodelle - und trotzdem erlaubt sie, fordert geradezu, die deterministische
Beziehung zwischen Materie und Vernunft zu lösen. Und
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