Copyworld: Roman (German Edition)
hatte der Mann etwas mehr Glück in Liebe und Beruf, und zur
kontinuierlichen Einflußnahme auf den Gang seines intellektronischen Schicksals
hatte er die Variante der periodischen Zeitkontrolle gewählt. Was bedeutete,
daß einmal im Monat die blockierte Erinnerung an sein erstes Leben in
Weltenstein reaktiviert wurde und er die Möglichkeit hatte, Korrekturbefehle zu
geben. Einmal setzte er seinen Chef ab, dann bastelte er an seinem Äußeren, um
etwas attraktiver zu wirken, ein anderes Mal löschte er einen ganzen,
danebengegangenen Handlungsstrang und begann noch einmal von vorn. All dies war
möglich, weil er sein altes Bewußtsein in Monatsintervallen für wenige Minuten
von der Gedächtnisblockade befreien konnte.
Es gab auch die feinere Lebensart:
Korrekturvariante Todesblockade. Wer diese dramatische Struktur für seine
Schopenhauerwelt wählt, erhält die Erinnerung erst nach seinem Ableben zurück,
erfährt während seiner Existenz in der selbstgefertigten Weltkulisse nie etwas
vom wahren Charakter seines Daseins.
Man müsse sehr darauf achten, daß
solche Digs nicht vergessen, ihren Tod zu programmieren, weil sie sonst
unentrinnbar in den Kreislauf dieses einen digitalen Lebens eingeschlossen
werden und keine Möglichkeiten zur schöpferischen Umgestaltung ihrer Welt haben
– hatte Beryll erklärt. Allerdings habe der Oberste Projektant in einem solchen
Falle das Recht, einzugreifen und das Programm zu stoppen. Natürlich gibt es
auch die Variante der absoluten Freiheit, der beliebigen Programmänderung zu
jedem beliebigen Zeitpunkt. Und zwischen diesen drei Freiheitsgraden liegen
unzählige Spezifikationen, Mischformen und Extremvarianten. Absoluter
Freiheitsgrad sei Quatsch, hatte Beryll gesagt, werde aber von der Mehrheit
bevorzugt. Man lebte dann zwangsläufig in der Gewißheit, das alles nur Lug und
Trug ist, sei zwar der uneingeschränkte Herrscher, Magier, Gott seiner Welt,
aber letztlich doch nur ein Puppenspieler, der fortwährend die Knoten aus
seinen Fäden herauspult…
Für Leute, die sich solch eine Modifikation
wünschen, sei das Problem der Gedächtniskapazität aber ebenso wenig aktuell,
wie für diejenigen, die Varianten mit alternierenden Bewußtseinsebenen
bevorzugen – Copyworld sein in jedem
Falle nicht nur Generator von Realitäten, sondern auch untrennbarer Bestandteil
der digitalisierten Persönlichkeit. Allmählich verstand Hyazinth die Theorie,
als er ihre praktische Anwendung erlebte. Er begriff auch, daß die meisten
Leute mit den phantastischen Möglichkeiten ihrer digitalen Existenz noch gar nicht
umzugehen wußten: So aufregend sein Abenteuer im Liebestal auch war – da er nun
wußte, daß es dem dritten Freiheitsgrad, der Todesblockade unterworfen war,
fragte er sich, ob ein Mensch hundert Jahre lang glücklich sein kann, wenn er
in diesen tausendzweihundert Monaten nur essen, trinken, schlafen und vor allem
natürlich rammeln darf, was seine perfekt digitale Kraft hergibt.
Als sie die Baracke verließen,
fragte er Beryll danach.
“Ist es nicht Verschwendung, mit
der kostbaren Kapazität von Copyworld vergleichsweise
triviale Ansprüche zu befriedigen?”
“Denk selbst nach”, antwortete
der Oberste Projektant. “Ich hatte dir bereits erklärt, das Copyworld nicht die Summe aller Schopenhauerwelten ist,
sondern eine völlig neue Qualität.”
“Nun, ich muß da an einen
klassischen Verhaltensbiologen denken, oder war er Neurophysiologe? Paulus oder
Pawlow hieß der Mann, zwanzigstes Jahrhundert etwa. Er sagte, daß die auf die
Innenwelt des Organismus gerichtete Nerventätigkeit die niedere ist, im
Gegensatz zur anderen, die die feinsten Beziehungen des Organismus zur
Außenwelt festlegt – also die höhere Nerventätigkeit ist.
Darf man Copyworld in diesem Sinne als ein kolossales
introvertiertes Einzelwesen betrachten, weil doch seine Innenwelt viel reicher
und komplizierter ist, als seine Beziehungen zur Außenwelt es sind? Du hast mir
erklärt, daß Copyworld sich Effektoren
schaffen wird, womit es auf die Außenwelt einwirken kann. Nach Pawlow müßten
diese Beziehungen dann die höhere Nerventätigkeit darstellen. Für das Bewußtsein
von Copyworld wären dann die
Schopenhauerwelten demnach das Unterbewußtsein, die Träume eines Wesens von
gigantischer Geisteskraft, das irgendwann aufwachen und sich seiner selbst
bewußt werden muß. Demzufolge ist es vielleicht gar nicht Sinn der Sache, daß
die Digs erlernen, Copyworld
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